Definition und Krankheitswert
- Nach der aktuellen ICD-11-Klassifikation der WHO (2023) wird Adipositas über den Body-Mass-Index (BMI) definiert*
- Normalgewicht: BMI 18–25 kg/m2
- Übergewicht: BMI 25–29,9 kg/m2
- Adipositas: BMI ≥ 30 kg/m2 – in 3 Schweregraden (–> Klassifikation)
Je ausgeprägter die Adipositas und je länger sie andauert, umso höher das Risiko für Folgeerkrankungen
Hinweis: Der BMI variiert stark abhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Alter, Körperbau und Gesundheitszustand. Ergänzend zum BMI sollte deshalb immer der Bauchumfang gemessen werden
- Die Beziehung zwischen Körpergewicht und Mortalität folgt grundsätzlich einer J-Kurve, wobei die geringste Mortalität bei einem BMI von ca. 22–25 besteht
- Adipositas sagt nicht zwingend etwas aus über die Fitness
- Auch metabolisch gesunde Menschen mit Übergewicht und Adipositas haben ein erhöhtes kv Risiko
- Adipositas-Paradox: Ältere, v. a. kardial erkrankte Patienten mit Adipositas haben eine bessere Prognose als Betroffene mit geringerem Gewicht (gilt nicht für Diabetiker)
Folgen von Adipositas
- Fettgewebe ist nicht nur Energiespeicher, sondern zugleich ein hoch aktives metabolisches, endokrines Organ!
- Assoziierte metabolische Störungen mit daraus resultierenden Krankheitsbildern
- Metabolisches Syndrom
- Diabetes mellitus
- Hypertonie
- Kardiovaskuläre Erkrankungen
- Einige Krebserkrankungen, welche (zumindest teilweise) mit Hyperinsulinämie in Zusammenhang stehen
Weitere mit Adipositas assoziierte Folgen/Komplikationen sind (Auswahl)
- Gastrointestinal: Fettleber, Steatohepatitis, GERD
- Haut: Skin tags, Intertrigo, venöse Ulzera
- Muskuloskelettal: Arthrose, Myalgie, Immobilität
- Pulmonal: Dyspnoe, Asthma, OSAS
- Gynäkologisch: PCOS
Beurteilung und Beratung
Zur Feststellung potenzieller Ursachen für Übergewicht/Adipositas und als Grundlage für die Entwicklung eines umfassenden strukturierten Behandlungsplans soll Folgendes erhoben werden
Allgemeines
- Ethnie (erhöhtes Diabetesrisiko schon ab BMI von 25, z. B. aus Nordafrika, Südasien)
- Motivation zur Gewichtsreduktion zum aktuellen Zeitpunkt
- Zielvorstellung
- Ressourcen (Zeit, Finanzen, emotionale Ausgeglichenheit, soziales Netz)
- Gewichtsverlauf und Ursachen einer akzentuierten Gewichtszunahme, Dynamik
- Persönliche Einschätzung des eigenen Körpergewichts, der Adipositas-Diagnose und der Gründe für die Gewichtszunahme
- Gewichtsverlauf
- Bereits durchgeführte Gewichtsreduktionsversuche: Welche Erfahrungen wurden damit gemacht?
- Familiäres und soziales Umfeld
- Hinweise auf organische oder genetische Ursachen für Übergewicht/Adipositas
- Familienanamnese hinsichtlich Übergewicht/Adipositas und damit assoziierter Komorbiditäten
- Ist eine gewichtsreduzierende Intervention im Hinblick auf eine Verbesserung des individuellen Gesundheitszustands sinnvoll?
- Sind Motivation und Bereitschaft abzunehmen gegeben?
Ernährung
- Ernährungsanamnese
Mahlzeitenstruktur, Portionengrösse, Sättigungsgefühl, „Mindful eating“, Fähigkeit zu Kochen, Anteil hoch verarbeiteter Nahrungsmittel, Süssgetränke, Alkoholkonsum, Snackingverhalten etc.
Hinweis: Das Führen eines Ernährungs-Tagebuchs kann hilfreich sein - Diätanamnese
Bisherige Diäterfolge, Ernährungsedukation durch Ernährungsberatung SVDE/kumulative Zeitdauer der professionellen Betreuung
Bewegung
- Bewegungsanamnese: Bewegung im Alltag, regelmässige Sporteinheiten, Schrittzahl
Kardiovaskuläre Risikofaktoren
- Erfassung aller zusätzlichen kardiovaskulären Risikofaktoren
Psychosoziale Belastung und Stressoren
Hinweise für Adipositas-assoziierte Essverhaltensstörungen
- Binge-Eating
- Night Eating
- Emotional Eating (Stress-Essen)
- Bulimia nervosa
- Reduzierter Schlaf/unruhiger Schlaf
Medikation mit Einfluss auf die Gewichtsentwicklung
- Glukokortikoide
- Antidepressiva (v. a. Mirtazapin/Remeron®, Trimipramin (Surmontil®), Amitriptylin (Saroten®), Neuroleptika
–> siehe auch mediX GL-Depression - Möglichkeiten zur Optimierung der Medikation von Begleiterkrankungen
- Messung von BMI und Bauchumfang
- Kardiopulmonale Untersuchung inkl. Blutdruckmessung (Volumenstatus, Herzgeräusche/Arrhythmien)
- Zahnstatus
- Suche nach cushingoiden Stigmata
- Maschinelles Blutbild mit CRP, Kreatinin, Leberwerte (Transaminasen, Cholestaseparameter), HbA1c, Lipidprofil, TSH
Diagnostik für Cushing Syndrom
- Mitternächtliches Speichelcortisol oder Dexamethason-Hemmtest nur bei klinischem Verdacht auf ein Cushing-Syndrom
Sonographie Abdomen/Fibroscan der Leber bei V. a. MASLD
- Zum Ausschluss eines höheren Fibrosegrads. Eine mögliche Risikoabschätzung im Vorfeld kann mittels Fib4-Score erfolgen
Abklärung auf obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (OSAS)
- Nur bei relevanter Begleit-Klinik, die eine Abklärung und Therapie rechtfertigen würde (Einschlafneigung tagsüber, nicht einstellbare arterielle Hypertonie, Herzinsuffizienz)
–> Siehe auch mediX GL Schlafstörungen
Kardiovaskuläre Untersuchung
- Nur bei klinischem Verdacht, insbesondere Leistungsintoleranz, die nicht auf die Adipositas zurückzuführen ist, Zeichen der Herzinsuffizienz (NT Pro BNP), Angina Pectoris, Claudicatio intermittens (siehe mediX GL Herzinsuffizienz)