Guideline Kurzversion

Adipositas

Erstellt von: Dr.med. U. Beise Letzte Änderung: 07/2025

Definition und Krankheitswert

  • Nach der aktuellen ICD-11-Klassifikation der WHO (2023) wird Adipositas über den Body-Mass-Index (BMI) definiert*
    • Normalgewicht: BMI 18–25 kg/m2
    • Übergewicht: BMI 25–29,9 kg/m2
    • Adipositas: BMI ≥ 30 kg/m2 – in 3 Schweregraden (–> Klassifikation)
      Je ausgeprägter die Adipositas und je länger sie andauert, umso höher das Risiko für Folgeerkrankungen

Hinweis: Der BMI variiert stark abhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Alter, Körperbau und Gesundheitszustand. Ergänzend zum BMI sollte deshalb immer der Bauchumfang gemessen werden

  • Die Beziehung zwischen Körpergewicht und Mortalität folgt grundsätzlich einer J-Kurve, wobei die geringste Mortalität bei einem BMI von ca. 22–25 besteht
  • Adipositas sagt nicht zwingend etwas aus über die Fitness
  • Auch metabolisch gesunde Menschen mit Übergewicht und Adipositas haben ein erhöhtes kv Risiko
  • Adipositas-Paradox: Ältere, v. a. kardial erkrankte Patienten mit Adipositas haben eine bessere Prognose als Betroffene mit geringerem Gewicht (gilt nicht für Diabetiker)

Folgen von Adipositas

  • Fettgewebe ist nicht nur Energiespeicher, sondern zugleich ein hoch aktives metabolisches, endokrines Organ!
  • Assoziierte metabolische Störungen mit daraus resultierenden Krankheitsbildern
    • Metabolisches Syndrom
    • Diabetes mellitus
    • Hypertonie
    • Kardiovaskuläre Erkrankungen
    • Einige Krebserkrankungen, welche (zumindest teilweise) mit Hyperinsulinämie in Zusammenhang stehen

Weitere mit Adipositas assoziierte Folgen/Komplikationen sind (Auswahl)

  • Gastrointestinal: Fettleber, Steatohepatitis, GERD
  • Haut: Skin tags, Intertrigo, venöse Ulzera
  • Muskuloskelettal: Arthrose, Myalgie, Immobilität
  • Pulmonal: Dyspnoe, Asthma, OSAS
  • Gynäkologisch: PCOS

Beurteilung und Beratung

Zur Feststellung potenzieller Ursachen für Übergewicht/Adipositas und als Grundlage für die Entwicklung eines umfassenden strukturierten Behandlungsplans soll Folgendes erhoben werden

Allgemeines

  • Ethnie (erhöhtes Diabetesrisiko schon ab BMI von 25, z. B. aus Nordafrika, Südasien)
  • Motivation zur Gewichtsreduktion zum aktuellen Zeitpunkt
  • Zielvorstellung
  • Ressourcen (Zeit, Finanzen, emotionale Ausgeglichenheit, soziales Netz)
  • Gewichtsverlauf und Ursachen einer akzentuierten Gewichtszunahme, Dynamik
  • Persönliche Einschätzung des eigenen Körpergewichts, der Adipositas-Diagnose und der Gründe für die Gewichtszunahme
  • Gewichtsverlauf
  • Bereits durchgeführte Gewichtsreduktionsversuche: Welche Erfahrungen wurden damit gemacht?
  • Familiäres und soziales Umfeld
  • Hinweise auf organische oder genetische Ursachen für Übergewicht/Adipositas
  • Familienanamnese hinsichtlich Übergewicht/Adipositas und damit assoziierter Komorbiditäten
  • Ist eine gewichtsreduzierende Intervention im Hinblick auf eine Verbesserung des individuellen Gesundheitszustands sinnvoll?
  • Sind Motivation und Bereitschaft abzunehmen gegeben?

Ernährung

  • Ernährungsanamnese
    Mahlzeitenstruktur, Portionengrösse, Sättigungsgefühl, „Mindful eating“, Fähigkeit zu Kochen, Anteil hoch verarbeiteter Nahrungsmittel, Süssgetränke, Alkoholkonsum, Snackingverhalten etc. 
    Hinweis: Das Führen eines Ernährungs-Tagebuchs kann hilfreich sein
  • Diätanamnese
    Bisherige Diäterfolge, Ernährungsedukation durch Ernährungsberatung SVDE/kumulative Zeitdauer der professionellen Betreuung

Bewegung

  • Bewegungsanamnese: Bewegung im Alltag, regelmässige Sporteinheiten, Schrittzahl

Kardiovaskuläre Risikofaktoren

  • Erfassung aller zusätzlichen kardiovaskulären Risikofaktoren

Psychosoziale Belastung und Stressoren

Hinweise für Adipositas-assoziierte Essverhaltensstörungen

  • Binge-Eating
  • Night Eating
  • Emotional Eating (Stress-Essen)
  • Bulimia nervosa
  • Reduzierter Schlaf/unruhiger Schlaf

Medikation mit Einfluss auf die Gewichtsentwicklung

  • Glukokortikoide
  • Antidepressiva (v. a. Mirtazapin/Remeron®, Trimipramin (Surmontil®), Amitriptylin (Saroten®), Neuroleptika
    –> siehe auch mediX GL-Depression
  • Möglichkeiten zur Optimierung der Medikation von Begleiterkrankungen
  • Messung von BMI und Bauchumfang
  • Kardiopulmonale Untersuchung inkl. Blutdruckmessung (Volumenstatus, Herzgeräusche/Arrhythmien)
  • Zahnstatus
  • Suche nach cushingoiden Stigmata
  • Maschinelles Blutbild mit CRP, Kreatinin, Leberwerte (Transaminasen, Cholestaseparameter), HbA1c, Lipidprofil, TSH

Diagnostik für Cushing Syndrom

  • Mitternächtliches Speichelcortisol oder Dexamethason-Hemmtest nur bei klinischem Verdacht auf ein Cushing-Syndrom

Sonographie Abdomen/Fibroscan der Leber bei V. a. MASLD

  • Zum Ausschluss eines höheren Fibrosegrads. Eine mögliche Risikoabschätzung im Vorfeld kann mittels Fib4-Score erfolgen

Abklärung auf obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (OSAS)

  • Nur bei relevanter Begleit-Klinik, die eine Abklärung und Therapie rechtfertigen würde (Einschlafneigung tagsüber, nicht einstellbare arterielle Hypertonie, Herzinsuffizienz)
    –> Siehe auch mediX GL Schlafstörungen

Kardiovaskuläre Untersuchung

  • Nur bei klinischem Verdacht, insbesondere Leistungsintoleranz, die nicht auf die Adipositas zurückzuführen ist, Zeichen der Herzinsuffizienz (NT Pro BNP), Angina Pectoris, Claudicatio intermittens (siehe mediX GL Herzinsuffizienz)