Diagnostik
⇒ Die Depression ist eine klinische Diagnose, die vom Hausarzt gestellt werden kann
⇒ Oftmals kalgen die Patienten nicht ausdrücklich über Depressionen, sondern geben andere Beschwerden an
Hinter folgenden Symptomen kann sich eine Depression verbergen
- Abgeschlagenheit, Kraftlosigkeit
- Konzentrationsmangel, Gedächtnisstörungen
- Schlafstörungen
- Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Obstipation, Diarrhö
- Diffuser Kopfschmerz
- Druckgefühl in Hals und Brust, Globusgefühl
- Funktionelle Störungen Herz/Kreislauf (Tachykardie, Arrhythmie)
- Schwindelgefühle, Sehstörungen, Muskelverspannungen, neuralgiforme Störungen
- Libidoverlust, Potenzstörungen, Sistieren der Menstruation
- Ängstliche Grundstimmung ist in der Akutphase häufig –> kann zusätzliche Gabe von Benzodiazepinen erforderlich machen
Zur Diagnose einer Depression müssen mindestens 2 Hauptsymptome und
2 Zusatzsymptome über mindestens 2 Wochen bestehen
Hauptsymptome
- Gedrückte Stimmung
- Interessensverlust, Freudlosigkeit
- Antriebsmangel, erhöhte Ermüdbarkeit
Zusatzsymptome
- Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
- Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
- Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit
- Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven
- Suizidgedanken/-handlungen
- Schlafstörungen
- Appetitmangel
Nur bei Risikopatienten mit folgender Anamnese
- Frühere depressive Episoden
- Depressionen, Suizid(versuche) in der Familie
- Schwere somatische Erkrankungen
- Substanzmissbrauch
- Belastende Lebenssituation (life event)
Bei Verdacht auf Depression: Orientierender 2-Fragen-Test
- „Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig bedrückt oder hoffnungslos?“
- „Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?“
Werden beide Fragen bejaht, soll eine ausführliche Exploration erfolgen
- Somatische Differentialdiagnosen: Bei depressiven Symptomen sollte das Vorliegen körperlicher Erkrankungen abgeklärt werden und eine Medikamentenanamnese erfolgen.
Mögliche Tests bei Diagnosestellung Depression (siehe auch mediX GL Müdigkeit)- Basis Labordiagnostik: Hämatogramm, CRP, HbA1c, Elektrolyte, Kreatinin, GPT, TSH, Ferritin
- Ergänzend je nach Anamnese: BSR, HIV/Hepatits B/C-Screening (auch bei normaler GPT) und korrigiertes Kalzium
- Bei Verdacht auf zerebrovaskuläres Geschehen: Ev. cMRT mit konsekutiver Ursachenabklärung
- Psychiatrische Differentialdiagnosen
- Depressive Symptomatik kann Teil einer anderen psychischen Störung sein
- Generalisierte Angststörung, Phobie, Panikstörung, Posttraumatische Belastungsstörung, (Hypo-)manische Episode
- Essstörung, Zwangsstörung
- Alkohol- und Drogenmissbrauch
- Depressive Symptomatik kann Teil einer anderen psychischen Störung sein
- Mögliche Differentialdiagnosen
- Depressive Anpassungsstörung (z. B. Trauerreaktion auf Verlust von Partner)
- Medikamentennebenwirkung z. B. Mefloquin (Malariamittel), Kortison, Hepatitis C-Behandlung mit Interferon/Ribavirin, Isotretinoin bei Akne
⇒ Aktive und empathische Exploration von Suzidgedanken! Siehe mediX Factsheet Suizid
- Unklare psychiatrische Differentialdiagnostik
- Schwere Symptomatik
- Therapieresistenz
- Probleme bei der Pharmakotherapie und/oder in einer Psychotherapie
- Interaktionsprobleme bei Kombinationstherapie von Antidepressiva mit anderen Medikamenten
- Akute Selbst- und Fremdgefährdung
- Psychotische Symptome oder depressiver Stupor
- Bei einer manischen Episode möglichst frühzeitig
Notfallindikation zur stationären psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung
- Akute suizidale Gefährdung oder Fremdgefährdung mit fehlender oder eingeschränkter Absprachefähigkeit
- Psychotische Symptome
Therapie
Behandlungsziele
- Vollständige Symptomremission, Wiederherstellung der sozialen Leistungsfähigkeit und Rückfallprophylaxe. Behandlungsplanung gemeinsam mit dem Patienten entwickeln, ev. unter Einbezug von Angehörigen
Leichte Depression
- „Watchful waiting“. Keine spezifische Therapie, Verlauf innerhalb der ersten zwei Wochen überprüfen
Empfehlenswert- Coaching, Stimmungstagebuch (auch Protokollieren von Schlaf, Appetit, Konzentration)
Mittelschwere Depression
- Psychotherapeutische Antidepressiva können angeboten und eingesetzt werden, wenn der Patient dies wünscht
Schwere und chronische Depression
- Kombinationsbehandlung aus medikamentöser Therapie und Psychotherapie. Bei psychotischen Symptomen (depressiver Wahn) Einsatz von Neuroleptika
- Psychotherapeutische Verfahren kommen im ambulanten und
(teil-)stationären Bereich zur Akuttherapie, zur Stabilisierung des Therapieerfolgs und zur Rezidivprophylaxe in Frage - Bei schweren, chronischen und Alterdepressionen ist eine Kombination aus Psycho- und Pharmakotherapie wirksamer als eine Monotherapie mit Psychotherapie oder Medikation
Folgende therapeutischen Ansäze werden häufig angewendet, von erfahrenen Therapeuten auch kombiniert
- Kognitive Verhaltenstherapie (KVT), Interpersonelle Psychotherapie (IPT), Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (MBCT), Gesprächspsychotherapie (GP)
- Bei chronischen Depressionen auch CBASP (Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy)
- Internetgestützte Psychotherapie ist noch weitgehend im experimentellen Stadium.
Von SGPP anerkannt: Verhaltenstherapie, psychoanalytisch orientierte Psychotherapie und systemische Psychotherapie
Siehe auch mediX FS Anordnung Psychotherapie
Grundsätze
- Keine generellen Wirksamkeitsunterschiede zwischen den Substanzklassen. Wahl individuell nach Nebenwirkungsprofil, Erfahrungen von Arzt und/oder Patient
- Wirkung der Antidepressiva setzt meist innert 2 Wochen ein. Falls nicht
–> Response-Wahrscheinlichkeit < 15 % - Schrittweises Auftitrieren der Dosis wird vor allem bei TZA, aber auch (weniger dringlich) bei SSRI und neueren Antidepressiva (Mirtazapin, Venlafaxin) empfohlen
- Bei fehlender Response Wechsel auf ein Antidepressivum einer anderen Substanzklasse empfohlen (Nutzen unsicher). Insbesondere bei therapieresistenten Patienten kann auch die Kombination zweier Antidepressiva sinnvoll sein (beachte jedoch allfällige Nebenwirkungen)
- Antidepressiva im Alter: Möglichst niedrige Dosis (evtl. niedrigere Einstiegsdosis) und langsameres Auftitrieren (Nieren- und Leberfunktion sowie kardialen Status beachten)
Trizyklische Antidepressiva bei älteren Patienten möglichst vermeiden wegen Nebenwirkungsprofil (Delir, Verwirrtheit)
Zu bevorzugen: SSRI (Natriumkontrollen), Mirtazapin oder Agomelatin (Leberwerte kontrollieren) - Absetzen der Medikation: Dosisreduktion schrittweise über einen Zeitraum von (zumeist) etwa 4 Wochen. Bei leichten Absetzsymptomen Patienten beruhigen und gut überwachen. Bei schweren Absetzerscheinungen noch langsamer absetzen, ev. auch Wiederansetzen des AD
Therapiemonitoring
- Überprüfung von Response, Nebenwirkungen, Komplikationen etc. unter Zuhilfenahme von Fragebögen z. B.
- Gesundheitsfragebogen für Patienten (PHQ-D)
- Beck-Depressionsinventar (BDI)
- Geriatrische Depressionsskala (GDS)
- Hamilton Depression Rating Scale (HDRS) (Versicherungen fragen danach!)
- In den ersten 4 Behandlungswochen wöchentliche Konsultation, danach alle 2–4 Wochen, nach 3 Monaten längere Intervalle
- Nach 3–4 Wochen entscheiden, ob Wechsel der Behandlungsstrategie notwendig
- Störungen der Sexualität im Rahmen des Nebenwirkungsprofils sollte unbedingt geschlechtsunabhängig erfragt werden –> häufige NW bei SSRI (60 %) und Escitalopram (40 %), beeinflusst die Compliance der Medikamenteneinnahme!
- Blutbild und Transaminasen untersuchen bei Aufnahme von AD-Therapie
- EKG-Kontrollen bei Therapie mit Escitalopram, Citalopram und Fluoxetin in Dosierung oberhalb Standarddosis
- Gewichtskontrollen vor allem unter Mirtazapin, Trizyklika und Lithium
- Therapeutisches Drug-Monitoring: Bei ausbleibender Besserung unter Tri- und Tetrazyklika ev. Plasmaspiegel prüfen
Erhaltungstherapie
- Psychotherapeutische Akutbehandlung anschliessend über 8–12 Monate in grösseren Sitzungsintervallen fortführen
- Antidepressiva mindestens 4–9 Monate über die Remission hinaus (in gleichbleibender Dosierung). Am Ende der Erhaltungstherapie schrittweise Dosisreduktion
Rezidivprophylaxe
- Bei Patienten mit rezidivierender/chronischer Depression und bei starken funktionellen Einschränkungen während der Episode
–> Medikamentöse/psychotherapeutische Behandlung mind. 2 Jahre fortführen
- In Rücksprache mit Psychiatern evtl. bei Therapieresistenz: Augmentation mit Lithium, Elektrokrampftherapie, Lichttherapie, Wachtherapie, Ketamin, transkranielle Magnetstimulation
- Sport- und Bewegungstherapie, Ergotherapie.
Sowohl Ausdauer- als auch Krafttraining kann positive Effekte bewirken und sollte jedem Patienten mit einer Depression empfohlen werden, sofern keine Kontraindikationen bestehen - Kunst- und Gestalttherapie