HIV-Übertragungsrisiko/Prävention
Sexuelle Übertragung
- Häufigster Übertragungsweg: Risiko anal (rezeptiv 0,5 %, insertiv 0,07 %) > vaginal (Frauen 0,1 %, Männer 0,05 %). Übertragung auch ohne Ejakulation
- Zusätzliche Geschlechtskrankheiten (STD) oder genitale Ulzera und hohe Viruslast erhöhen Übertragungsrisiko
- Übertragung durch oralen Geschlechtsverkehr ist unwahrscheinlich (Sperma/Menstruationsblut im Mund: Risiko < 0,000‘1 %)
- HIV-Patienten unter wirksamer antiretroviraler Therapie (ART) gelten als nicht infektiös, falls keine zusätzlichen Läsionen vorliegen, die Therapie regelmässig eingenommen und die Wirksamkeit kontrolliert wird
Drogeninjektion
- Durch gemeinsames Benutzen von Spritzenbesteck, Löffel, Filter, Tupfer (Übertragungsrisiko 0,7 %)
- Häufig Co-Infektionen mit Hepatitis C (auch bei MSM)
Mutter-Kind
- Kinder von HIV-pos. Müttern können in der SS, bei der Geburt und beim Stillen angesteckt werden
- Die Übertragungsrate ist abhängig vom Gesundheitszustand der Mutter und der antiretroviralen Therapie
- Bei supprimierter Virämie (< 1‘000 RNA-Kopien/ml) wird eine vaginale Geburt empfohlen
- Bei nicht nachweisbarer Viruslast unter ART und regelmässiger Überwachung ist nach einer partizipativen Entscheidungsfindung bei HIV-infizierten Müttern mit starkem Stillwunsch das Stillen möglich
Kein Ansteckungsrisiko
- Bei alltäglichen sozialen Kontakten – also z. B. nicht durch Küssen, Husten, Tränen, Zahnbürsten, Essen vom selben Teller, im Hallenbad oder via Toilettenbrille
- Kondome senken das HIV-Ansteckungsrisiko um 80–95 %
- Kein gemeinsamer Gebrauch von Injektionsmaterial
- Kein Sperma oder Blut in den Mund
- Handschuhe bei medizinischen Verrichtungen
- Eine Zirkumzision reduziert das Risiko für den Mann, von einer HIV-positiven Frau angesteckt zu werden, um 50–60 %. Es gibt keine Evidenz, dass dies umgekehrt oder von Mann zu Mann ebenfalls gilt
- Bei durch ART supprimierter Viruslast kann eine HIV-positive Person HIV nicht übertragen
Klinik und Verlauf
- Die akute HIV-Infektion kann symptomfrei verlaufen
- Bei 40–80 % 2 bis 4 Wochen nach Infektion akutes retrovirales Syndrom
- Fieber 38–40 °C (bei > 70–80 %)
- Lymphadenopathie axillär, zervikal, occipital, im Verlauf regredient, jedoch oft Persistenz einer mässigen Lymphadenopathie
- Halsschmerzen mit pharyngealer Rötung, meist ohne Tonsillitis
- Schmerzhafte, scharf begrenzte Ulzerationen genital, anal oder oral (ösophageal)
- Generalisierter Hautausschlag, typischerweise 48–72 h nach Fieberbeginn, 5–8 Tage persistierend
- Lokalisation: Oberer Thorax, Kopfhaut, Hals, Gesicht, Extremitäten, Palmae und Plantae
- Effloreszenzen: Typisch sind kleine 5–10 mm grosse, gut abgegrenzte, runde bis ovale, rosafarbene bis dunkelrote Maculae oder Maculopapeln, selten vesikulär, pustulös oder urtikariell
- Myalgie, Arthralgie
- Kopfschmerzen, oft retroorbital mit Zunahme bei Augenbewegungen
- Nausea, Diarrhoe, Gewichtsverlust
Vor allem prolongierte Symptome und das Vorhandensein von mukokutanen Ulzera sind suggestiv für HIV
Labor
- Initial Absinken der Leukozytenzahl, evtl. Leberenzymerhöhung, milde Anämie und Thrombozytopenie
Verlauf
- Nach dem Primoinfekt folgt eine asymptomatische Latenzzeit (wenige Jahre bis > 10 Jahre) ohne wesentliche klinische Zeichen, häufig besteht aber eine periphere Lymphadenopathie
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Tabelle: Aids-definierende Erkrankungen |
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* Ungewollte Gewichtsabnahme (≥ 10 %), die mit persistierenden Diarrhöen und/oder Fieber einhergeht
Diagnostik
HIV-Selbsttest
- In Apotheken erhältliche Tests, die eine europäische CE-Kennzeichnung tragen, liefern zuverlässige Resultate, wenn die Infektion vor mindestens 3 Monaten erfolgt ist
Ärzte-initiierte HIV-Beratung und -Testung
- Indikation grosszügig stellen, wenn eine entsprechende Klinik oder Laborkonstellation oder ein Risikoverhalten vorliegt (siehe Tabellen)
- Test: HIV-Combo-Schnelltest der 4. Generation zum HIV-Screening in der Praxis
- Vor dem Test ist eine sorgfältige Sexual- und Risikoanamnese erforderlich
Weiteres Vorgehen
- Jeder positive Test muss zwingend in einer 2. Blutentnahme mit einer anderen Methode bestätigt werden. Falls die Vortestwahrscheinlickeit für eine HIV-Infektion hoch ist, kann zusätzlich zum 4. Generations-Schnelltest in der Praxis unmittelbar danach – während der gleichen Konsultation – eine zweite Blutentnahme erfolgen zum Versand in ein auswärtiges Labor, wo mit einer zweiten Methode die HIV-Diagnostik ergänzt wird
- Ein reaktiver Test ist der untersuchten Person als „reaktiv“ mitzuteilen. Der reaktive Test muss durch ein BAG-anerkanntes Bestätigungslabor bestätigt werden; erst dann ist der untersuchten Person das Resultat als „bestätigt positiv“ mitzuteilen und dem BAG zu melden (Meldepflicht!).
- Seit Juli 2025 gilt eine neue Meldeverordnung, siehe BAG
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Tabelle: HIV-Test-Empfehlung bei verdächtigen Symptomen und Erkrankungen |
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Tabelle: HIV-Test-Empfehlung bei Patienten ohne Symptome |
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Prä- und Postexpositionsprophylaxe
Indikation
- Eine PrEP kann eine HIV-Infektion verhindern und wird für Personen mit (Hoch)Risikoverhalten (v. a. MSM ohne Kondom) empfohlen
- PrEP ist nicht indiziert bei HIV-negativen Personen, die Sex haben mit einer HIV-positiven Person, die unter wirksamer antiretroviraler Therapie (ART) steht und deren Viruslast nicht nachweisbar ist
- mediX empfiehlt eine Verschreibung nur nach sorgfältiger, individueller Prüfung der Vor- und Nachteile
Medikation
- Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil (Truvada® oder Genericum). Einnahme täglich oder intermittierend (vor und nach Risikoexposition)
- Einnahmeoptionen
- Tägliche PrEP (1 x täglich 200 mg Emtricitabin/245 mg Tenofovirdisoproxil)
- „Event-based‟ PrEP/„on demand‟: Einnahme im Kontext geplanter Sexualkontakte: 2 Tabletten auf einmal 2 bis 24 h vor sexuellem Kontakt, danach 1 Dosis nach 24 h und eine weitere Dosis nach 24 h
- „Holiday PrEP‟: Tägliche Einnahme während eines bestimmten Zeitraums
- Rezeptierung und Information
- Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil wird von den Krankenkassen übernommen (zunächst bis Dezember 2026), jedoch nur, wenn der verschreibende Arzt beim SwissPrEPared-Netzwerk angeschlossen ist (siehe auch https://www.swissprepared.ch/de/medical-guidance/)
- Ansonsten sind die Kosten durch die Nutzenden selbst zu tragen: Dies muss explizit so kommuniziert werden und das Präparat spezifisch „für PrEP‟ rezeptiert werden
- Die PrEP erfordert eine regelmässige Betreuung/Beratung des Nutzenden
- Vor Verschreiben einer PrEP muss ein negativer 4. Generation-HIV-Test vorliegen
- Wichtig: PrEP bietet keinen Schutz vor anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI). Darüber müssen die Nutzenden aufgeklärt werden –> 3-monatliche Kontrolle auf STI und HIV-Test
- Kontrolle möglicher unerwünschter Wirkungen (Nierenfunktion [Kreatinin], ALT/GPT) alle 6 bis 12 Monate, ev. Densitometrie, v. a. bei kontinuierlicher Einnahme
Wann wird eine PEP empfohlen?
- Nach ungeschütztem Anal- oder Vaginalverkehr mit einer bekannterweise HIV-positiven Person (wenn Viruslast nicht vollständig supprimiert ist)
- Nach ungeschütztem Anal- oder Vaginalverkehr mit einem/einer Sexpartner/-in, der/die einer Gruppe mit hoher HIV-Prävalenz angehört. Risikogruppen: HIV-Hochprävalenzländer, Sexarbeiterinnnen aus Osteuropa, MSM, intravenös Drogen konsumierende Personen (IVDA)
- Nach Sexualdelikt kann eine PEP angeboten werden, auch bei unbekanntem HIV-Status. Stellt sich der Täter als HIV-negativ heraus, wird die PEP abgebrochen
- Bei beruflicher Exposition nach genauer Risikoabwägung: Bei Exposition von Schleimhäuten oder lädierter Haut –> individuell entscheiden; bei Exposition von gesunder Haut –> keine PEP-Indikation
Vorgehen
- PEP möglichst innert 6–8 h beginnen, spätestens nach 48 h
- Vor Beginn der PEP 0-Serum abnehmen und folgende Laborparameter bestimmen
- Hämatogramm, Nieren- und Leberwerte, HBs-Antikörper (falls Impfstatus nicht bekannt)
- Medikation: Für 4 Wochen 3er-Kombination mit 2 Nukleosidanaloga und einem Integrase- oder Proteaseinhibitor durchführen. Präparatewahl nach Rücksprache mit einem Spezialisten
- Abgabe 1 „Starterpackung HIV-PEP“ (i. d. R in Tertiärspitälern vorrätig): Enthält je 4 Tabletten Emtricitabin 200 mg/Tenofovir 245 mg (= Truvada®-Generikum) und Dolutegravir 50 mg (Tivicay®) = für 4 Tage
Je eine Tablette Emtricitabin/Tenofovir und Tivicay® (Dolutegravir) sofort einnehmen, dann anschliessend alle 24 Stunden
- Abgabe 1 „Starterpackung HIV-PEP“ (i. d. R in Tertiärspitälern vorrätig): Enthält je 4 Tabletten Emtricitabin 200 mg/Tenofovir 245 mg (= Truvada®-Generikum) und Dolutegravir 50 mg (Tivicay®) = für 4 Tage
- Vor Beginn einer PEP muss eine bereits bestehende (aber noch nicht diagnostizierte) HIV-Infektion mittels Nullserologie (4. Generations-HIV-Kombotest [= Antikörper + p24 Antigentest]) ausgeschlossen werden
- Falls möglich, Sexualpartner testen, auch nach Beginn der PEP!
- Bis zum Ausschluss einer HIV-Infektion –> Safer Sex praktizieren
- Bei fehlender Impfung und negativen HBs-Antikörpern ist eine Immunisierung gegen Hepatitis B empfohlen
- Ein komplettes STI-Screening ist je nach Situation zu erwägen
Berufliche Exposition
Verlaufsbeobachtung unter PEP
- Klinische Kontrolle je nach Beschwerden nach 2 und 4 Wochen (Laborkontrollen nur wenn klinisch indiziert)
- Auf konsequente Tabletteneinnahme, NW und mögliche medikamentöse Interaktionen hinweisen, auf allfällige Anzeichen einer Primoinfektion achten
Serologische Nachkontrollen
- HIV-Test nach 6 Wochen
- HBs-Ag, Anti-HBc, HCV-Serologie und Transaminasen nach 3 und 6 Monaten bei fehlendem HBV-Impfschutz und unklarem HBV-Status der Quelle
- Bei V. a. Syphilis-Exposition –> Lues-Serologie nach 6 Wochen und nach 3 Monaten
- Detaillierte Angaben zu den Laborkontrollen nach jeweiligem HIV-Risiko und anderen sexuell übertragbaren Infektionen –> siehe Vollversion der Guideline (dort Kap. 6.2)