Guideline Kurzversion

HIV/AIDS

Erstellt von: Dr. med. U. Beise Letzte Änderung: 11/2025

HIV-Übertragungsrisiko/Prävention

Sexuelle Übertragung

  • Häufigster Übertragungsweg: Risiko anal (rezeptiv 0,5 %, insertiv 0,07 %) > vaginal (Frauen 0,1 %, Männer 0,05 %). Übertragung auch ohne Ejakulation
  • Zusätzliche Geschlechtskrankheiten (STD) oder genitale Ulzera und hohe Viruslast erhöhen Übertragungsrisiko
  • Übertragung durch oralen Geschlechtsverkehr ist unwahrscheinlich (Sperma/Menstruationsblut im Mund: Risiko < 0,000‘1 %)
  • HIV-Patienten unter wirksamer antiretroviraler Therapie (ART) gelten als nicht infektiös, falls keine zusätzlichen Läsionen vorliegen, die Therapie regelmässig eingenommen und die Wirksamkeit kontrolliert wird

Drogeninjektion

  • Durch gemeinsames Benutzen von Spritzenbesteck, Löffel, Filter, Tupfer (Übertragungsrisiko 0,7 %)
  • Häufig Co-Infektionen mit Hepatitis C (auch bei MSM)

Mutter-Kind

  • Kinder von HIV-pos. Müttern können in der SS, bei der Geburt und beim Stillen angesteckt werden
  • Die Übertragungsrate ist abhängig vom Gesundheitszustand der Mutter und der antiretroviralen Therapie
  • Bei supprimierter Virämie (< 1‘000 RNA-Kopien/ml) wird eine vaginale Geburt empfohlen
  • Bei nicht nachweisbarer Viruslast unter ART und regelmässiger Überwachung ist nach einer partizipativen Entscheidungsfindung bei HIV-infizierten Müttern mit starkem Stillwunsch das Stillen möglich

Kein Ansteckungsrisiko

  • Bei alltäglichen sozialen Kontakten – also z. B. nicht durch Küssen, Husten, Tränen, Zahnbürsten, Essen vom selben Teller, im Hallenbad oder via Toilettenbrille
  • Kondome senken das HIV-Ansteckungsrisiko um 80–95 %
  • Kein gemeinsamer Gebrauch von Injektionsmaterial
  • Kein Sperma oder Blut in den Mund
  • Handschuhe bei medizinischen Verrichtungen
  • Eine Zirkumzision reduziert das Risiko für den Mann, von einer HIV-positiven Frau angesteckt zu werden, um 50–60 %. Es gibt keine Evidenz, dass dies umgekehrt oder von Mann zu Mann ebenfalls gilt
  • Bei durch ART supprimierter Viruslast kann eine HIV-positive Person HIV nicht übertragen

Klinik und Verlauf

  • Die akute HIV-Infektion kann symptomfrei verlaufen
  • Bei 40–80 % 2 bis 4 Wochen nach Infektion akutes retrovirales Syndrom
    • Fieber 38–40 °C (bei > 70–80 %)
    • Lymphadenopathie axillär, zervikal, occipital, im Verlauf regredient, jedoch oft Persistenz einer mässigen Lymphadenopathie
    • Halsschmerzen mit pharyngealer Rötung, meist ohne Tonsillitis
    • Schmerzhafte, scharf begrenzte Ulzerationen genital, anal oder oral (ösophageal)
    • Generalisierter Hautausschlag, typischerweise 48–72 h nach Fieberbeginn, 5–8 Tage persistierend
      • Lokalisation: Oberer Thorax, Kopfhaut, Hals, Gesicht, Extremitäten, Palmae und Plantae
      • Effloreszenzen: Typisch sind kleine 5–10 mm grosse, gut abgegrenzte, runde bis ovale, rosafarbene bis dunkelrote Maculae oder Maculopapeln, selten vesikulär, pustulös oder urtikariell
    • Myalgie, Arthralgie
    • Kopfschmerzen, oft retroorbital mit Zunahme bei Augenbewegungen
    • Nausea, Diarrhoe, Gewichtsverlust

Vor allem prolongierte Symptome und das Vorhandensein von mukokutanen Ulzera sind suggestiv für HIV

Labor

  • Initial Absinken der Leukozytenzahl, evtl. Leberenzymerhöhung, milde Anämie und Thrombozytopenie

Verlauf

  • Nach dem Primoinfekt folgt eine asymptomatische Latenzzeit (wenige Jahre bis > 10 Jahre) ohne wesentliche klinische Zeichen, häufig besteht aber eine periphere Lymphadenopathie

Tabelle: Aids-definierende Erkrankungen

  • Tuberkulose
  • Soor-Ösophagitis
  • Pneumocystis jirovecii (früher: carinii) Pneumonie
  • Rezidivierende bakterielle Pneumonien
  • Persistierende Herpes-simplex-Läsionen
  • Kaposi-Sarkom
  • Zervixkarzinom
  • Chronische Diarrhö verursacht durch Kryptosporidien oder Isospora belli
  • HIV-Enzephalopathie
  • Progressive multifokale Leukenzephalopathie
  • ZNS-Toxoplasmose
  • Primäres ZNS-Lymphom
  • Non-Hodgkin-Lymphom
  • Kryptokokken-Meningitis
  • Cytomegalovirus-Retinitis, -Ösophagitis, -Colitis
  • Disseminierte Infektionen mit atypischen Mykobakterien
  • Extrapulmonale Histoplasmose oder Kokzidioidomykose
  • HIV-Wasting-Syndrom*

* Ungewollte Gewichtsabnahme (≥ 10 %), die mit persistierenden Diarrhöen und/oder Fieber einhergeht

Diagnostik

HIV-Selbsttest

  • In Apotheken erhältliche Tests, die eine europäische CE-Kennzeichnung tragen, liefern zuverlässige Resultate, wenn die Infektion vor mindestens 3 Monaten erfolgt ist

Ärzte-initiierte HIV-Beratung und -Testung 

  • Indikation grosszügig stellen, wenn eine entsprechende Klinik oder Laborkonstellation oder ein Risikoverhalten vorliegt (siehe Tabellen)
  • Test: HIV-Combo-Schnelltest der 4. Generation zum HIV-Screening in der Praxis
  • Vor dem Test ist eine sorgfältige Sexual- und Risikoanamnese erforderlich

Weiteres Vorgehen

  • Jeder positive Test muss zwingend in einer 2. Blutentnahme mit einer anderen Methode bestätigt werden. Falls die Vortestwahrscheinlickeit für eine HIV-Infektion hoch ist, kann zusätzlich zum 4. Generations-Schnelltest in der Praxis unmittelbar danach – während der gleichen Konsultation – eine zweite Blutentnahme erfolgen zum Versand in ein auswärtiges Labor, wo mit einer zweiten Methode die HIV-Diagnostik ergänzt wird
  • Ein reaktiver Test ist der untersuchten Person als „reaktiv“ mitzuteilen. Der reaktive Test muss durch ein BAG-anerkanntes Bestätigungslabor bestätigt werden; erst dann ist der untersuchten Person das Resultat als „bestätigt positiv“ mitzuteilen und dem BAG zu melden (Meldepflicht!).
  • Seit Juli 2025 gilt eine neue Meldeverordnung, siehe BAG

Tabelle: HIV-Test-Empfehlung bei verdächtigen Symptomen und Erkrankungen

  • Primoinfekt: Jeder schwere oder längerdauernde (virale) Infekt; akutes, Mononukleose-ähnliches Syndrom
  • Aids-definierende Erkrankungen
  • Jede sexuell übertragbare Erkrankung (Co-Infektion)
  • Herpes zoster bei Personen < 50 Jahren oder falls multidermatomal oder rezidivierend
  • Mucocutane Candidose ohne vorherige Antibiotika oder inhalative Kortikosteroide
  • Rezidivierende bakterielle Pneumonie
  • Analkarzinom, Dysplasie des Gebärmutterhalses
  • Unklare Symptome
    • Atypisch verlaufende Hauterkrankung
    • Unklarer Gewichtsverlust, Diarrhö
    • Unklares, länger dauerndes Fieber
    • Persistierende Lymphadenopathie
    • Unklare Thrombopenie, Leukopenie, Anämie
    • Unklare neurologische Krankheitsbilder (Enzephalitis, Polyneuropathie, Facialisparese)

Tabelle: HIV-Test-Empfehlung bei Patienten ohne Symptome

  • Mann, der Sex mit Männern hat (MSM)
  • Immigrant aus HIV-Hochendemiegebiet (v. a. Subsahara-Afrika)
  • Wunsch des Patienten, einen HIV-Test zu machen
  • Multiple Sexualpartner (ohne Safer-Sex)
  • Schwangerschaft
  • Nach Nadelstichverletzung im Gesundheitswesen oder nach ungeschütztem Sex mit HIV-positivem Partner ohne ART

Prä- und Postexpositionsprophylaxe

Indikation

  • Eine PrEP kann eine HIV-Infektion verhindern und wird für Personen mit (Hoch)Risikoverhalten (v. a. MSM ohne Kondom) empfohlen
  • PrEP ist nicht indiziert bei HIV-negativen Personen, die Sex haben mit einer HIV-positiven Person, die unter wirksamer antiretroviraler Therapie (ART) steht und deren Viruslast nicht nachweisbar ist
  • mediX empfiehlt eine Verschreibung nur nach sorgfältiger, individueller Prüfung der Vor- und Nachteile

Medikation

  • Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil (Truvada® oder Genericum). Einnahme täglich oder intermittierend (vor und nach Risikoexposition)
  • Einnahmeoptionen
    • Tägliche PrEP (1 x täglich 200 mg Emtricitabin/245 mg Tenofovirdisoproxil)
    • „Event-based‟ PrEP/„on demand‟: Einnahme im Kontext geplanter Sexualkontakte: 2 Tabletten auf einmal 2 bis 24 h vor sexuellem Kontakt, danach 1 Dosis nach 24 h und eine weitere Dosis nach 24 h
    • „Holiday PrEP‟: Tägliche Einnahme während eines bestimmten Zeitraums
  • Rezeptierung und Information
    • Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil wird von den Krankenkassen übernommen (zunächst bis Dezember 2026), jedoch nur, wenn der verschreibende Arzt beim SwissPrEPared-Netzwerk angeschlossen ist (siehe auch https://www.swissprepared.ch/de/medical-guidance/)
    • Ansonsten sind die Kosten durch die Nutzenden selbst zu tragen: Dies muss explizit so kommuniziert werden und das Präparat spezifisch „für PrEP‟ rezeptiert werden
  • Die PrEP erfordert eine regelmässige Betreuung/Beratung des Nutzenden
  • Vor Verschreiben einer PrEP muss ein negativer 4. Generation-HIV-Test vorliegen
  • Wichtig: PrEP bietet keinen Schutz vor anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI). Darüber müssen die Nutzenden aufgeklärt werden –> 3-monatliche Kontrolle auf STI und HIV-Test
  • Kontrolle möglicher unerwünschter Wirkungen (Nierenfunktion [Kreatinin], ALT/GPT) alle 6 bis 12 Monate, ev. Densitometrie, v. a. bei kontinuierlicher Einnahme

Wann wird eine PEP empfohlen?  

  • Nach ungeschütztem Anal- oder Vaginalverkehr mit einer bekannterweise HIV-positiven Person (wenn Viruslast nicht vollständig supprimiert ist)
  • Nach ungeschütztem Anal- oder Vaginalverkehr mit einem/einer Sexpartner/-in, der/die einer Gruppe mit hoher HIV-Prävalenz angehört. Risikogruppen: HIV-Hochprävalenzländer, Sexarbeiterinnnen aus Osteuropa, MSM, intravenös Drogen konsumierende Personen (IVDA)
  • Nach Sexualdelikt kann eine PEP angeboten werden, auch bei unbekanntem HIV-Status. Stellt sich der Täter als HIV-negativ heraus, wird die PEP abgebrochen
  • Bei beruflicher Exposition nach genauer Risikoabwägung: Bei Exposition von Schleimhäuten oder lädierter Haut –> individuell entscheiden; bei Exposition von gesunder Haut –> keine PEP-Indikation

Vorgehen

  • PEP möglichst innert 6–8 h beginnen, spätestens nach 48 h
  • Vor Beginn der PEP 0-Serum abnehmen und folgende Laborparameter bestimmen
    • Hämatogramm, Nieren- und Leberwerte, HBs-Antikörper (falls Impfstatus nicht bekannt)
  • Medikation: Für 4 Wochen 3er-Kombination mit 2 Nukleosidanaloga und einem Integrase- oder Proteaseinhibitor durchführen. Präparatewahl nach Rücksprache mit einem Spezialisten
    • Abgabe 1 „Starterpackung HIV-PEP“ (i. d. R in Tertiärspitälern vorrätig): Enthält je 4 Tabletten Emtricitabin 200 mg/Tenofovir 245 mg (= Truvada®-Generikum) und Dolutegravir 50 mg (Tivicay®) = für 4 Tage
      Je eine Tablette Emtricitabin/Tenofovir und Tivicay® (Dolutegravir) sofort einnehmen, dann anschliessend alle 24 Stunden
  • Vor Beginn einer PEP muss eine bereits bestehende (aber noch nicht diagnostizierte) HIV-Infektion mittels Nullserologie (4. Generations-HIV-Kombotest [= Antikörper + p24 Antigentest]) ausgeschlossen werden
  • Falls möglich, Sexualpartner testen, auch nach Beginn der PEP!
  • Bis zum Ausschluss einer HIV-Infektion –> Safer Sex praktizieren
  • Bei fehlender Impfung und negativen HBs-Antikörpern ist eine Immunisierung gegen Hepatitis B empfohlen
  • Ein komplettes STI-Screening ist je nach Situation zu erwägen

Berufliche Exposition

Verlaufsbeobachtung unter PEP

  • Klinische Kontrolle je nach Beschwerden nach 2 und 4 Wochen (Laborkontrollen nur wenn klinisch indiziert)
  • Auf konsequente Tabletteneinnahme, NW und mögliche medikamentöse Interaktionen hinweisen, auf allfällige Anzeichen einer Primoinfektion achten

Serologische Nachkontrollen

  • HIV-Test nach 6 Wochen
  • HBs-Ag, Anti-HBc, HCV-Serologie und Transaminasen nach 3 und 6 Monaten bei fehlendem HBV-Impfschutz und unklarem HBV-Status der Quelle
  • Bei V. a. Syphilis-Exposition –> Lues-Serologie nach 6 Wochen und nach 3 Monaten
  • Detaillierte Angaben zu den Laborkontrollen nach jeweiligem HIV-Risiko und anderen sexuell übertragbaren Infektionen –> siehe Vollversion der Guideline (dort Kap. 6.2)