Guideline Kurzversion
Polymyalgia rheumatica / Riesenzellarteriitis
Letzte Änderung: 09/2024
Polymyalgia rheumatica
- Alter > 50 J.
- Schmerzen und Morgensteifigkeit im Schultergürtel, im Beckengürtel, Nackenschmerzen, Funktionsminderung mit Verringerung des Bewegungsumfangs der betroffenen Gelenke, Kraftverlust. Ausstrahlung der Schmerzen bis Ellbogen bzw. Knie
- Symptomdauer: ≥ 2 Wochen. Morgensteifigkeit: ≥ 45 min. Beginn oft einseitig, später beidseitig
- Periphere muskuloskelettale Symptome wie periphere Arthritis, CTS oder Ödeme an Händen und Füssen, Tendosynovitiden
- Systemische Symptome (bei 40 %): Subfebrile oder febrile Temperaturen, Malaise, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust
Die obligaten Diagnosekriterien gemäss EULAR/ACR sind
- Beidseitige Schulterschmerzen
- Erhöhte BSR oder CRP
- Alter > 50 Jahre
Zusätzliche Kriterien (bei ≥ 4 Pkt ist die Diagnose sehr wahrscheinlich)
- Morgensteifigkeit von > 45 min (2 Pkt)
- Hüftschmerzen oder verminderte Beweglichkeit im Hüftgelenk (1 Pkt)
- Rheumafaktoren und Anti-CCP im Normbereich (2 Pkt)
- Keine anderen peripheren Gelenkschmerzen (1 Pkt) (Cave: kommen trotzdem bei 25 % der Patienten vor)
Die Schmerzen haben einen entzündlichen Charakter: Schlimmer nach Ruhephasen, Besserung auf Bewegung
Labor
- Blutbild (bei einigen Patienten tritt eine normozytäre normochrome Anämie auf)
- CRP und BSR (nicht spezifisch, dient zum Ausschluss unter Beachtung, dass ca. 4 % der Erkrankten weder eine BSR- noch CRP-Erhöhung aufweisen)
- Glucose, Kreatinin, Leberenzyme
- Alkalische Phosphatase, korrigiertes Calcium und Phosphat
- U-Status
Zur Evaluation von Differentialdiagnosen
- Elektrophorese, Immunfixation und freie Leichtketten
- Vitamin D nur bei auffälligem Knochenstoffwechsel und/oder V. a. Hyperparathyreoidismus
- RF, Anti-CCP
- TSH, CK, ANA, ANCA, Quantiferon-Test
Überweisung an Rheumatologen
- Bei atypischer Präsentation (periphere entzündliche Schmerzen, tiefe BSR, Alter < 50 J.), Versagen der Prednisontherapie, häufigen Rückfällen, NW der Therapie
Kortikosteroidtherapie i. d. R. für 1–2 Jahre
- Initial Prednison 20 mg/d (deutliche Besserung nach wenigen Tagen)
- Anschliessend Reduktion Prednison mit Ziel 10 mg/d innert 4–8 Wochen!
- Bei erneuten Beschwerden: Dosis anheben auf letzte wirksame Dosis, dann langsamere Reduktion (innert 4–8 Wochen auf vorherige Dosis)
- Wenn stabil: Dosisreduktion um 1 mg/d jeden Monat (oder 1,25 mg mit täglich wechselnd
10 mg und 7,5 mg, um 5 mg Tbl benutzen zu können)
Beachte: Wenn höhere Dosen als hier angegeben gebraucht werden, sollten andere Diagnosen in Betracht gezogen werden
Begleittherapie
- Impfungen rechtzeitig auffrischen! (Gemäss EULAR und siehe auch mediX FS Impfungen)
- Osteoporoseprophylaxe: Bei Steroidtherapie (Prednison > 5 mg/d) länger als 3 Monate
–> Kalzium und Vitamin D, bei zusätzlichen Risikofaktoren ev. zusätzlich ein Bisphosphonat. (Siehe mediX GL Osteoporose) - Prophylaxe einer Pneumozystis jirovecii Pneumonie (PjP-Prophylaxe) mit Cotrimoxazol bei Corticosteroid-Therapie mit 20 mg pro Tag > 4 Wochen
- Sofern keine sonstige Indikation für Thrombozytenaggregationshemmer, Antikoagulanzien oder Statine besteht, sollten diese nicht routinemässig bei Polymyalgia rheumatica oder RZA gegeben werden
- PPI Prophylaxe als Magenschutz insbesondere bei hohen Steroid Dosen oder bei Kombination mit NSAR oder Anamnese von gastroduodenalen Ulcera
- Bei folgenden Komorbiditäten und Risikofaktoren für Steroid-NW frühzeitig Methotrexat als steroidsparendes Medikament erwägen
- Arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, gastrale Ulzera, Osteoporose, Katarakt/Glaukom, häufige Infekte, andere kardiovaskuläre Erkrankung
- Hinweise auf prolongierten Verlauf (Frauen, BSR > 40/h, periphere Arthritis)
Kontrollen
- Nachkontrollen etwa in folgenden Abständen: Nach 1 und 4 Wochen, dann monatlich im ersten Jahr und alle 3 Monate im zweiten Jahr. Ansonsten bei neu auftretenden Symptomen oder Nebenwirkungen
- Labor: BSR, CRP, Blutbild, BZ/HbA1c (steroidinduzierter Diabetes)
- Auf Anzeichen einer (nachfolgend auftretenden) RZA achten!
- Augenärztliche Kontrollen sind bei langfristiger Steroidtherapie erforderlich (Steroid-Glaukom/Katarakt etc.)
Beachte: Bei gutem klinischen Befund können allenfalls erhöhte Laborwerte toleriert werden, anstatt Steroidnebenwirkungen durch unnötig viel Steroid zu verursachen.
Riesenzellarteriitis
- Meist eher schleichender, manchmal auch abrupter Beginn
- Bitemporal akzentuierter Kopfschmerz (Analgetika-resistent), meist als Dauerschmerz, selten intermittierend
- Spezifischer sind: Schmerzen beim Kauen (Kieferclaudicatio), ev. Schluckclaudicatio und Zungenbrennen
- Überempfindlichkeit der Kopfhaut, verdickte und/oder schmerzhaft palpable A. temporalis
- Diverse Sehstörungen (z. B. Doppelbilder, Amaurosis fugax)
- Allgemeinsymptome: Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme, Fieber bis > 39 Grad, nicht produktiver Husten (10 %)
Ausserdem
- Aortenaneurysma und Dissektion (bis zu 10 %, eher nach jahrelangem Verlauf)
- Zerebrale Ischämie als Folge einer entzündlichen Beteiligung des Vertebralis-, Basilaris- oder Karotisversorgungsgebietes bei 3–4 %
- Diagnose anhand von Symptomatik, Entzündungsparametern, Bildgebung/Biopsie. Die Diagnose RZA sollte durch Evidenz aus Bildgebung oder Biopsie gestützt werden!
- Empfohlene Laboruntersuchungen: siehe oben unter Labor (PMR)
Sonographie und Histologie
- Arterienbiopsie (meist A. temporalis) nach Duplexsonographie gilt weiter als Goldstandard, wird aber in der Praxis kaum durchgeführt
- Duplex-Sonographie der Aa. temporalis und subclavia: Sollte bei Verdacht auf RZA immer von einem erfahrenen Untersucher durchgeführt werden. Bei Unsicherheit in der Diagnose kann nach Behandlungsbeginn eine Biopsie (beim Chirurgen) veranlasst werden
- Alternative Diagnoseverfahren (mit geringerer Bedeutung): PET (Cave: Strahlendosis!),
(Angio-)MRI
Überweisung an Spezialisten
- Bei (Verdacht auf) RZA soll die Diagnose durch einen Rheumatologen gesichert werden, auch zur Einleitung einer Steroid-sparenden Therapie (Kostengutsprache)
- Aufgrund der Konsequenzen einer möglichen beidseitigen Erblindung –> sofortige Überweisung zum Ophthalmologen
- Die Therapie muss unverzüglich beim Spezialisten erfolgen
- Die Riesenzellarteriitis führt unbehandelt zu einer Beteiligung der Aorta und ihrer Seitenäste mit verschiedenen Komplikationen
Kortikosteroidtherapie i. d. R. für mindestens 1–2 Jahre, bei Steroid-sparender Therapie auch kürzer
- Rituximab: Diskussion ob zeitnah nach Diagnosestellung versus im Verlauf
⇒ mediX empfiehlt: Rituximab erst im Verlauf einsetzen, wenn Steroide nicht ausreichend wirken oder wenn eine Steroid-Reduktion nicht möglich ist
Bei Patienten mit okulärer/zerebraler Symptomatik
- Initial intravenöse Hochdosistherapie (z. B. 1’000 mg/d Methylprednisolon) über 3 Tage, anschliessend Fortsetzung mit oraler Therapie gemäss der Empfehlung eines Spezialisten
Als Steroid-sparende Therapie zur Remissionsinduktion kann alternativ folgendes erwogen werden (Indikationsstellung durch den Spezialisten)
- Avacopan (C5aR Inhibitor): 30 mg 2 x/Tag in Kombination mit Rituximab (RTX) oder Cyclophosphamid (CYC)
- Tocilizumab (8, 11)
- Methotrexat mit derselben Indikation wie Tocilizumab (Wirksamkeit nur bis maximal 36 Wochen nachgewiesen) (8, 9)
- Leflunomid
Begleittherapie: siehe oben unter PMR
Erhaltungstherapie
- Bei Remission nach Induktion mit entweder RTX oder CYC wird remissionserhaltende Therapie für 24–48 Monate mit RTX empfohlen. Alternativ dazu kann Methotrexat (MTX) oder Azathioprin (AZA) gegeben werden
Kontrollen
- Siehe PMR. Beachte: Ein (leichter) Anstieg von PCR/BSR kann auch bei RZA toleriert werden, wenn keine klinischen Zeichen einer Verschlechterung vorhanden sind
- Patient informieren: Sofort Arzt/Ärztin aufsuchen, wenn erneut Symptome auftreten (z. B. Kopfschmerzen oder PMR-Symptomatik)
Rezidive und Rezidivtherapie
- Innert zwei Jahren haben 30–40 % der Patienten ein Rezidiv, jedoch selten mit schwerwiegenden Komplikationen (z. B. Sehverlust)
- Die meisten Patienten befinden sich zum Zeitpunkt des Rezidivs unter Steroidtherapie. In diesen Fällen soll die Steroiddosis erhöht werden (ev. plus steroidsparende Komedikation,
s. o.) - Bei Patienten, die sich nicht mehr unter Steroidtherapie befinden, soll die Prednisontherapie neu begonnen werden