Harnwegsinfekte Kinder

Erstellt von: R. SolèrZuletzt revidiert: 12/2018 Letzte Änderung: 12/2018

Hinweise/Vorbemerkungen:

Die antibiotische Therapie der Pyelonephritis gilt als «evidence based». Die Behandlung des vesiko-ureteralen Refluxes (VUR) ist dagegen weitgehend «opinion based». Diese Guideline weicht teilweise von den Empfehlungen der Schweizerischen Arbeitsgruppe für pädiatrische Nephrologie (SAPN) und der Arbeitsgruppe für pädiatrische Infektiologie (PIGS) ab (z. B. hinsichtlich Ultraschall in der akuten Phase, Stellenwert des CRP und Mindestalter für orale Antibiotikatherapie).
Die SAPN/PIGS Guidelines (Schweizerische Arbeitsgruppe für pädiatrische Nephrologie/Pädiatrische Infektiologiegruppe Schweiz) (1) empfehlen teilweise ein invasiveres diagnostisches und therapeutisches Vorgehen, wobei inzwischen auch die SAPN/PIGS für die meisten Fälle eine orale Behandlung empfiehlt. 

 

1. Ursachen und Unterschiede zum Erwachsenen

HWI haben beim Kind einen ganz anderen Stellenwert als bei Erwachsenen. Es gibt einige wesentliche Unterschiede:

  • Oft steckt als Risikofaktor eine Fehlbildung der ableitenden Harnwege oder ein ausgeprägter vesicoureteraler Reflux (VUR) dahinter
  • Untere HWI gehen bei Kindern öfter als bei Erwachsenen in obere HWI über
  • Obere HWI führen öfter zu Bakteriämie und Urosepsis als bei Erwachsenen
  • Obere HWI im Kleinkindesalter führen öfter zu Parenchymdefekten (Narben).

All dies ist umso wahrscheinlicher, je jünger das Kind ist.

HWI sind bei Jungen deutlich seltener als bei Mädchen (ca. 1 : 4). Hat ein Junge aber einen febrilen HWI, ist es noch wahrscheinlicher, dass eine Fehlbildung oder ein Reflux vorliegt.

Grundsätzlich gilt: Harnwegsinfekte bei präadoleszenten Kindern sind nicht "normal". Es muss in jedem Fall die Möglichkeit einer Fehlbildung bzw. eines VUR in Betracht gezogen werden. Nicht in jedem Fall ist aber eine vollständige uroradiologische Abklärung notwendig.

  • Ein weiterer Grund für wiederholte HWI bei etwas älteren Kindern (Kindergarten/Schulkinder) kann eine Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie sein. Diese Kinder haben auch im infektfreien Intervall tagsüber Miktionsprobleme wie Pollakisurie, Urge-Inkontinenz etc. Eine Abklärung durch Pädiater/nephrologische Poliklinik ist sinnvoll.

 

2. Primäre Diagnostik – Uringewinnung, Labor und bildgebende Verfahren

2.1. Uringewinnung und -untersuchung, CRP

Ein Mittelstrahlurin auf Anweisung kann meist erst ab dem Kindergartenalter gewonnen werden, der „Säckliurin" ist oft kontaminiert. Zuverlässige Resultate liefern nur Einmalkatheterisierung oder – noch besser – durch Blasenpunktion gewonnener Urin. In der Allgemeinpraxis ist dies jedoch unrealistisch, da beide Methoden etwas Übung erfordern und für die Eltern ziemlich unangenehm aussehen, obwohl v. a. die Blasenpunktion weniger schmerzhaft ist als etwa eine Impfung. Was sind demnach praktikable Methoden zur Uringewinnung?

  • Direktes Auffangen von Urin: Eine gute Methode v. a. bei Säuglingen. Die Mutter (oder der Vater) gibt dem Kind zu trinken, putzt die Region der Urethralmündung mit Cetrimide o. ä. und wartet dann neben dem unten ausgezogenen Kind, bis es uriniert, und fängt den Urin mit einem sterilen Röhrchen auf. Praktisch entspricht dies einem Mittelstrahlurin, da die erste Portion sowieso daneben geht. Klappt meistens innert 30 min, sofern die Betreuungsperson gut aufpasst. Voraussetzung: Ein Platz, an dem Kind und Mutter in Ruhe warten können; Urin kann ev. auch zu Hause abgenommen und dann in die Praxis gebracht werden (sofort!)
  • Mittelstrahlurin auf Aufforderung: Ein Versuch kann gemacht werden bei Kindern, die die Miktion gut kontrollieren können
  • Säckliurin: Wenn es nicht anders geht oder als Screening bei Fieber ohne Focus: Genitalregion gut reinigen mit Cetrimide o. ä., Säckli nach spätestens 1 h wechseln, wenn kein Urin, nach erneutem Putzen. Einige Lc, Ec und Bakt. sind im Säckliurin normal (s. u.). Sofort nach Miktion entfernen und untersuchen
  • Einmalkatheterisierung: Recht zuverlässige Methode, wenn man ein Kleinkind katheterisieren kann und die Eltern keine Probleme damit haben
  • Blasenpunktion: Die genaueste Methode, wenn man weiss wie und die Eltern keine Probleme damit haben
  • Zuweisung zur Urinuntersuchung: Bei fraglichem Resultat z. B. aus dem Säckliurin kann man das Kind auch einem Kinderarzt zur Blasenpunktion oder Katheterisierung überweisen, wenn man das nicht selber kann oder aus psychologischen Gründen nicht will!

Beachte

  • Ein normaler Uristix schliesst einen HWI aus, ein eindeutig positives Resultat (viele Lc, Ec, Nitrit +) ist aussagekräftig, dazwischen liegt ein grosser Graubereich. Die Betrachtung des Uristix-Streifens mit den eigenen Augen ist manchmal aussagekräftiger als die maschinelle Ablesung! Es macht einen Unterschied, ob das Lc-Testfeld innert Sekunden tiefviolett wird oder nach 2 Minuten 2+ (75–250 Lc) anzeigt
  • Die Kultur kann einen HWI bestätigen oder ausschliessen: Wachstum > 104gilt als pathologisch, beim Katheterurin > 103, bei Blasenpunktion jedes Wachstum. Mischkulturen sprechen gegen einen febrilen HWI, ausser bei Säuglingen (E. coli + Enterokokken kommt vor). Wird ein febriler HWI behandelt, ist ein Uricult obligatorisch
  • Das CRP korreliert stark mit einer Parenchymbeteiligung (Nephritis). Bei positivem Urinbefund und erhöhtem CRP (> 50 mg/l) muss eine Pyelonephritis angenommen und behandelt werden.
    Die SAPN/PIGS-Guidelines (1) messen dem CRP keine grosse Bedeutung zu. Tatsächlich ist eine Pyelonephritis mit normalem CRP aber extrem selten (kein Kind in der grossen schweizerischen multizentrischen Pyelonephritisstudie [2] hatte ein tiefes CRP).
    Da die Uringewinnung oft mühselig und auch nach Stunden erfolglos sein kann, darf diese unserer Meinung nach bei tiefem CRP auf den nächsten Tag verschoben werden – wenn dann noch Fieber besteht bei weiterhin unklarem Fokus.

2.2. Bildgebende Verfahren

  • Sonographie: Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass eine Sonographie in der akuten Erkrankung eine Nephritis weder sicher beweisen noch ausschliessen kann. Dies gilt auch für einen vesikoureteralen Reflux. Nur grobe Fehlbildungen mit Stauung werden sicher erkannt. Diese können jedoch nach der Behandlung der akuten Erkrankung diagnostiziert werden oder sind bereits bekannt aufgrund der Ultraschalluntersuchungen während der Schwangerschaft
  • DMSA-Szintigraphie (oder MRI): Nur diese Untersuchungen können eine Parenchymbeteiligung (Nephritis) sicher ausschliessen/beweisen. Dies hat initial aber keine therapeutischen Konsequenzen, da jeder febrile HWI antibiotisch behandelt werden muss. Die DMSA-Szintigraphie (oder das MRI) macht Sinn bei Kindern mit Harnwegsfehlbildungen und/oder rezidivierenden oberen HWI (Funktion, Narbenbildung?)
  • MCUG: In der akuten Phase nicht sinnvoll, da wegen der Entzündung oft falsch negativ, oder auch falsch positiv. Bei Kleinkindern 4–8 Wochen nach HWI indiziert (Frage nach VUR, s. o.).

 

3. Therapie

  • Viele Kinder können vom HA erfolgreich oral behandelt werden. Aktuell empfehlen auch die Kindernephrologen die primär orale Therapie mit einem Cephalosporin, ausgenommen für Kinder < 6 Monate (Empfehlung: 3 Tage i.v., dann oral; < 2 Monate alte Säuglinge über die ganze Dauer i.v.)
    mediX empfiehlt: Kinder > 3 Monate mit febrilen HWI primär oral behandeln, sofern keine Sepsis oder Trink- und/oder Medikamentenverweigerung vorliegt und eine Verlaufskontrolle per Telefon oder Konsultation innert 24–48 h stattfindet
  • Cephalosporine der 3. Generation sind 1. Wahl bei febrilen HWI. Bei keinem Kind in der grossen schweizerischen multizentrischen Pyelonephritisstudie war der Erreger dagegen resistent. Bei Zystitis können alternativ auch Cotrimoxazol oder Co-Amoxicillin für 3–5 d verwendet werden. Über eine Einmaldosis-Behandlung gibt es keine Daten.

 

4. Diagnostik nach Abheilung

  • Bei Kleinkindern ist eine Ultraschalluntersuchung nach Abheilung eines febrilen HWI indiziert. Es geht darum, Fehlbildungen der ableitenden Harnwege soweit möglich auszuschliessen. Eine Abflussbehinderung z. B. bei Ureterabgangs- oder -mündungsstenose, Doppelureteren mit Stauung u. a. führen wegen des verlangsamten Flusses im Ureter zu erhöhtem Risiko für aufsteigende HWI.
    Die häufigste Ursache ist aber ein vesikoureteraler Reflux, der im Ultraschall meist nicht erkannt werden kann. Dafür ist ein MCUG nötig – primär nur bei Mädchen < 4 Jahren oder Knaben < 2 Jahren, da bei Älteren auch bei VUR keine Prophylaxe oder Operation empfohlen wird.  

 

5. Antibiotika-Dauerprophylaxe

  • Bei bestimmten Harnwegsfehlbildungen und vor allem beim VUR ist das Wiederholungsrisiko für Pyelonephritiden relativ hoch. Häufige Pyelonephritiden können zur Funktionseinschränkung der Nieren (im Extremfall bis zur Insuffizienz) führen. Eine Dauerprophylaxe kann deshalb bei Kleinkindern mit hochgradigem VUR (III–V) gerechtfertigt sein, bis der VUR verschwunden ist (das geschieht meist spontan). Es wurde jedoch gezeigt, dass die Prophylaxe das Rezidivrisiko bei Kindern mit persistierendem VUR ab einem bestimmten Alter nicht mehr senkt – bei Knaben ab 2–4 Jahren, bei Mädchen ab 4–6 Jahren. Die Prophylaxe kann deshalb ab 2 (Knaben) bzw. 4 (Mädchen) Jahren gestoppt werden, bei nicht mehr nachweisbarem Reflux (im MCUG) schon vorher
  • Die Prophylaxe mit Cotrimoxazol verursacht selten Nebenwirkungen. Das alternative Nitrofurantoin ist nicht mehr in kindergerechter Dosierung im Handel.

 

6. Literatur

  1. Guidelines der Schweizerischen Arbeitsgruppe für pädiatrische NephrologieSAPN/PIGS.
  2. Neuhaus T, Buechner K, Berger C et al.: Randomized trial of oral versus sequential intravenous/oral cephalosporines in children with pyelonephritis Eur J Pediatr 2008; 167:1037-1047.

 

7. Impressum

 

Diese Guideline wurde im 2012 erstellt, zuletzt aktualisiert im Dezember 2018.  
© Verein mediX

Herausgeber
Dr. med. Felix Huber

Redaktion (verantwortlich)
Dr. med. Uwe Beise

Autoren
Dr. med. Rolf Solèr
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin

Rückmeldungen bitte an: uwe.beise_at_medix.ch

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