Zeckenübertragene Krankheiten (Borreliose/FSME)

Erstellt von: Uwe Beise, Andreas Kronenberg, Felix HuberZuletzt revidiert: 12/2020 Letzte Änderung: 12/2020

Aktualisierung 12/2020

  • Die Guideline wurde vollständig durchgesehen und auf Aktualität überprüft
  • In Kapitel 2.2. wurden die Kriterien zur Diagnostik des Post-Lyme-Syndroms hinzugefügt
  • In Kapitel 2.3. wurden die Kriterien zur serologischen Abklärung auf Lyme-Borreliose hinzugefügt
  • Berücksichtigung der aktuellen Guidelines der Infectious Diseases Society of America (IDSA), American Academy of Neurology (AAN) und American College of Rheumatology (ACR)
  • In Kapitel 3. (FSME) wurden die epidemiologischen Daten aus der Schweiz aktualisiert und die Angaben zur Diagnose und Prognose der FSME erweitert
  • Hinweise zu anderen durch Zecken übertragene Infektionen wurden neu aufgenommen (Kapitel 4).

 

1. Zecken (1–3, 5)

  • Die häufigsten durch Zecken übertragenen Erkrankungen in der Schweiz sind die Lyme-Borreliose und die Frühsommer-Meningoencephalitis (FSME). In Einzelfällen werden auch Erreger der Babesiose, Ehrlichiose, Neoehrlichiose, Rickettsiose oder Tularämie übertragen (s. Kap. 4)
  • Zecken sind in der Schweiz weit verbreitet, oberhalb von 1‘200 m (selten 1‘500 m) können sie nicht überleben. FSME-Risikogebiete hier
  • Der Zeckenstich ist schmerzlos und wird nur von 50 % der Patienten wahrgenommen
  • Hauptüberträger ist lxodes ricinus (Schildzecke/Holzbock). Lebensraum: Sträucher, Büsche und Gräser in Wäldern und Wiesen, Parks und Gärten; kann bis auf ca. 1 m Höhe klettern.

Prophylaxe

  • Bei Wald- und Biotopgang lange Hosen, lange Ärmel und hohe Schuhe anziehen. Nach Aufenthalt Inspekton von Achselhöhlen, Bauch, Kniekehlen und Haaransatz. Zecke rasch entfernen, am besten mit einer Pinzette (keine spezielle Drehtechnik erforderlich), anschliessend desinfizieren. Keine Manipulationen mit Öl oder Cremes oder Ausquetschen! Beste FSME-Prophylaxe: Aktive Immunisierung
  • Warn- und Informations-App „Zecke“ –> Download

 

2. Lyme-Borreliose

2.1. Epidemiologie und Infektionsrisiko (2, 3, 5)

  • Bis zu 40 % der Zecken sind Träger von Borrelia burgdorferi. Unterhalb 1‘200 m ist die Verteilung in der Schweiz homogen (keine Endemiegebiete)
  • Borreliose-Inzidenz: 30–130/100'000 Einwohner in CH/Jahr, Seroprävalenz bis 35 % – abhängig vom Expositionsrisiko (z. B. Waldarbeiter, Orientierungsläufer)
  • Saisonale Häufung von Erythema migrans Mai bis Oktober (Peak Juli)
  • Arztkonsultationen wegen Zeckenstich: 17'000–23'000/Jahr in CH
  • Nach einer prospektiven Studie von Huegli et al. (6) kommt es in der Schweiz nach einem Zeckenstich in 5,2 % (14/269 Personen) zu einer klinischen Infektion (Erythema migrans). In 3,5 % (9/255 Personen) der asymptomatischen Patienten tritt eine Serokonversion ein
  • Für eine Übertragung muss der Saugakt mindestens 24 h (selten 12 h) andauern
  • Erkrankungen von Erythema migrans treten gehäuft im Juni und Juli auf, Erkrankungen von Neuroborreliose im Juli und August, während die Lyme-Arthritis aufgrund der variablen Inkubationszeit ganzjährig diagnostiziert wird
  • Die klinischen Manifestationen in USA und Europa unterscheiden sich aufgrund der Epidemiologie der unterschiedlichen Borrelien-Spezies (USA: B. burgdorferi sensu stricto; Europa: B. garinii und B. afzelii). So ist in den USA z. B. die Arthritis häufiger als in Europa. In Europa ist die Acrodermatitis häufiger. Dies ist wichtig zu wissen, da Patienten z. T. amerikanische Literatur zitieren oder sich auf amerikanische Selbsthilfegruppen beziehen.


2.2. Stadieneinteilung, Symptome, Hinweise zur Labordiagnostik (1, 2, 7–9, 11)

  • Es werden drei Stadien unterschieden. Insbesondere die Abgrenzung von Stadium II und III ist z. T. klinisch schwierig
  • Im klinischen Verlauf kann jedes Stadium übersprungen werden, z. B. muss ein Neuroborreliose-Patient kein Erythema migrans durchgemacht haben
  • Mit einer spontanen Ausheilung ist vor allem in den Stadien I und II zu rechnen.

Stadium I (früh, lokalisiert): 2–30 Tage nach Infektion

  • Erythema migrans (EM) (früher Erythema chronicum migrans [ECM] genannt) +/- unspezifische grippeähnliche Allgemeinsymptome (Fieber, Myalgien, Kopfschmerzen)
    • Hautbefund: Ein sich ausdehnender roter bis blauroter Fleck von meist > 5 cm Durchmesser, meist mit zentraler Abheilung. Der Rand der Läsion ist scharf begrenzt und intensiv verfärbt, aber kaum erhaben, die Epidermis selbst ist nicht verändert
    • Auftreten: 3–30 Tage nach Zeckenstich. Bei früherem Auftreten von Hautveränderungen handelt es sich wahrscheinlich um eine allergische/toxische Lokalreaktion. Läsionen mit einem Durchmesser > 5 cm sind verdächtig auf EM. Im Zweifel darf mit der Therapie gewartet und der Patient nach ca. 1 Woche zur Verlaufskontrolle wieder einbestellt werden. Bei wiederholtem Auftreten eines EM handelt es sich meist um eine Neuinfektion (13)
    • Multiple EM sind möglich und in USA häufiger als in Europa. Es handelt sich i. d. R. nicht um die Folge von multiplen Zeckenstichen, sondern um „metastatische“ Streuung von Borrelien in die Haut
  • Erythema migrans ist eine klinische Diagnose. Serologie ist nicht sinnvoll, da noch oft falsch negativ. Ausnahme: Bei atypischem Hautbefund und hohem V. a. Borreliose. In dieser Situation kann eine „0-Serologie“ (die zu diesem Zeitpunkt in > 50 % negativ ist) mit einer Follow-up-Serologie verglichen werden
  • Bei Persistenz eines als EM behandelten Erythems über mehr als 6 Wochen –> Überweisung zum Dermatologen zur differentialdiagnostischen Abklärung: Z. B. Tinea, Granuloma anulare, Sarkoidose.

Stadium II (früh systemisch, disseminierend): Wochen bis Monate nach Infektion

  • Die Diagnose wird gestellt durch die passende Klinik und eine positive Serologie sowie ggfls. Zusatzuntersuchungen, die untenstehend erwähnt sind (wie PCR aus Gelenksflüssigkeit, etc.)
  • Borrelien-Lymphozytom (Lymphadenosis benigna cutis): Rötlich-livide Schwellung, innert 2 Monaten nach Infektion;
    Prädilektionsstellen: Bei Kindern meist am Ohrläppchen, bei Erwachsenen an Mamillen, ev. Scrotalhaut
    • Serologie 80 % positiv, Borrelien-PCR aus Hautbiopsie (Sensitivität ca. 70 %) bei negativer Serologie
    • DD: Solitäres Mastozytom (Anschwellen nach Reiben der Haut), solitäres B-Zell- oder T-Zell-Lymphom (Biopsie/[Immun-]Histologie)
  • Frühe Neuroborreliose: Dazu gehören Meningitis, Fazialisparese (Bell‘s palsy); kraniale Neuritis; Radikuloneuritis
  • Typische Manifestation ist die schmerzhafte Meningopolyradikulitis spinaler Nerven, ev. in Verbindung mit einer einseitigen oder beidseitigen Fazialisparese (Bannwarth-Syndrom). Oft sind die radikulären Schmerzen in der Extremität lokalisiert, in der vorher der Zeckenstich oder das Erythema migrans beobachtet wurde. Schmerzcharakter: Brennend, bohrend, beissend oder reissend, kaum Ansprechen auf übliche Analgetika; bei Kindern auch Meningitis.
    • Entzündliche Liquorveränderungen
      • Typisch ist eine lymphozytäre Pleozytose im Liquor
      • Nachweis intrathekaler AK mit Liquor-Serum-Vergleich von IgG/IgM.
    • Borrelien-PCR aus Liquor nur hilfreich wenn positiv (Sensitivität tief).
  • Muskuloskeletale Manifestationen: Dazu gehören, im Stadium II, „wandernde“ Schmerzen in Gelenken, Knochen, Muskeln und kurze Attacken von Arthritis, häufig in Knien
  • Lyme-Arthritis Stadium II: Meist rezidivierende Gonarthritis (ein-/beidseitig), seltener auch andere tragende Gelenke betroffen, kleine Gelenke als Rarität – mit Gelenkergüssen, schmerzarm; Auftreten 2 Wochen bis 2 Jahre nach Zeckenstich
    • Borrelien-PCR aus Synovialflüssigkeit oder Synovialbiopsie (Sensitivität 70–80 %).
  • Lyme-Karditis (< 4 %), v. a. mit höhergradiger AV-Blockierung oder Perimyokarditis
    • Klinische Diagnose
      • Neu aufgetretene AV-Überleitungsstörung (v. a. bei jüngeren Patienten), Zeichen einer Perimyokarditis
      • Anamnese eines bestehenden/zurückliegenden Erythema chronicum migrans oder Zeckenstich
      • Ausschluss anderer Ursachen.
    • Positive Serologie (allein aber nicht ausreichend!)
    • Borrelien-PCR (Myokardbiopsie) nur in seltenen Einzelfällen.
  • Selten: Organbefall von Lymphsystem, Augen, Leber, Lungen, Nieren, Hoden.

Stadium III (spät): Monate bis Jahre nach Infektion

  • Die Diagnose wird gestellt durch die passende Klinik und eine positive Serologie sowie ggfls. Zusatzuntersuchungen, die untenstehend erwähnt sind (wie PCR aus Gelenkflüssigkeit, intrathekale Antikörperbildung im Liquor, etc.)
  • Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA): Häufigste Spätmanifestation der Lyme-Borreliose in Europa, meist an Streckseiten von Armen und Beinen, initial anschwellendes, ödematös-infiltratives Stadium (teigige Hautschwellung). Nachfolgend Übergang in atrophes Stadium, das durch Verlust von Binde- und Fettgewebe und der Körperbehaarung gekennzeichnet ist (pergamentartige Haut) (4)
    • Diagnosesicherung wichtig, da in frühen Stadien vollständige Heilung möglich (spätes Stadium: Nur weitere Progredienz verhinderbar)
    • Bestätigung mittels Borrelien-PCR aus Hautbiopsie (Sensitivität 70–90 %).
  • Lyme-Arthritis Stadium III: Länger dauernde „Attacken“ von Arthritis, „chronische“ Arthritis, vor allem Mono-Arthritis, typischerweise grosse Gelenke (meistens Knie, Hüfte, selten Ellenbogen, OSG, noch seltener andere)
    • Z. T. Erosionen radiologisch, PCR-Nachweis in Gelenkpunktat/-biopsie.
  • Späte Neuroborreliose (Enzephalopathie, Polyneuropathie, Leukoenzephalitis)
    • Z. T. entzündliche Liquorveränderungen (s. frühe Neuroborreliose), intrathekale Antikörperbildung.

Hinweis: Die Lyme-Borrelien-Serologie ist im späten, chronischen Stadium in 99 % positiv (12).

Post-Lyme-Syndrom (PLS)

  • Symptomatik: Unspezifisch, bis zu 15 % haben persistierende, über 6 Monate bestehende Symptome mit neurokognitiven Einschränkungen, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Leistungsschwäche und Fibromyalgie-ähnlichen Schmerzen
  • Pathogenese: Ist unbekannt, vermutlich immunologisch, aber beruht nicht auf Persistenz von Borrelien
  • Für die Diagnose eines PLS müssen alle folgenden Kriterien zutreffen (nach [4])
    • Frühere Lyme-Borreliose klinisch und labormässig klar dokumentiert
    • Dokumentierte adäquate Therapie
    • Kein Hinweis auf aktive Infektion
    • Persistierende Beschwerden (Müdigkeit, Arthralgien, Myalgien, radikuläre Beschwerden) > 6 Monate nach Abschluss einer adäquaten AB-Therapie
    • Beschwerdebeginn plausibel (mit oder innert 6 Monaten nach Lyme-Borreliose)
    • Objektive Defizite im internistischen oder neurologischen Status sind keine Voraussetzung für die Diagnose
    • Systematischer Ausschluss von anderen Erkrankungen (neurologisch, internistisch, rheumatologisch, psychiatrisch)
  • Wichtig: Ausschluss einer aktiven Neuroborreliose (intrathekale spezifische AK-Bildung mittels Lumbalpunktion suchen, Liquor/Serum-Index)
  • Bei negativem Liquorbefund oder bei St. n. adäquater Behandlung ist erneute AB-Therapie nicht erfolgversprechend; das PLS ist nicht Ausdruck persistierender Borrelien im Gewebe!
  • Eine spezifische Therapie des PLS ist nicht etabliert, Behandlung symptomatisch, kognitive Verhaltenstherapie, an Situation angepasstes aufbauendes körperliches Training.

2.3. Diagnostik (1, 2, 4, 7, 8)

Vorbemerkungen

  • Die Lyme-Borreliose ist eine klinische Diagnose – mit dazu passender Serologie. Eine positive Serologie allein ohne passende Klinik ist diagnostisch nicht valide. Anamnese und klinischer Befund sind für die Diagnosestellung (und die Interpretation serologischer Befunde) entscheidend. Je typischer die Klinik, desto unwichtiger die Serologie! Negative Serologien (ausser beim Erythema migrans) bei manifester Lyme-Borreliose existieren höchstens in absoluten Ausnahmefällen
  • Während typische Manifestationen wie das Erythema migrans kaum diagnostische Probleme bereiten, bleiben bei den Spätmanifestationen v. a. im neurologischen Bereich häufig Unsicherheiten bestehen.

Wann soll an die Lyme-Borreliose gedacht werden?

  • Nach einem Zeckenstich, falls Zecke nach > 24 h entdeckt wird
  • Bei einer ringförmigen, langsam sich ausbreitenden Hautrötung (Erythema migrans)
  • Bei einer intensiv schmerzenden Radikulopathie, v. a. in Kombination mit weiteren neurologischen Erscheinungen (Radikulitis)
  • Bei einer (beidseitigen) Fazialisparese
  • Bei einem deutlich geschwollenen, auffallend wenig schmerzhaften Kniegelenk (Lyme-Arthritis)
  • Bei einem herzgesunden (jungen) Patienten mit neu aufgetretenem höhergradigen AV-Block (Karditis)
  • Bei livider schmerzhafter Schwellung v. a. über (Finger- und Sprunggelenken mit Atrophie des subkutanen Gewebes (Acrodermatits chronica atrophicans)
  • Kein typischer Verdacht besteht bei unspezifischen Symptomen wie Myalgie, Arthralgie, Fieber und chronischer Müdigkeit (sehr tiefe Prätestwahrscheinlichkeit).

Labor (Serologie) – Indikation, Vorgehen, Interpretation

  • Die Serologie unterstützt die Diagnose in den Stadien II und III. Bei unspezifischen Beschwerden ist eine Borrelien-Serologie nicht routinemässig zu empfehlen
  • Die Serologie zeigt lediglich den Kontakt zu Borrelien, kann nicht zwischen aktiver und durchgemachter Lyme-Borreliose unterscheiden
  • Serologie ist indiziert bei folgender Klinik (4)
    • V. a. Benignes Lymphozytom
    • V. a. Acrodermatitis chronica atrophicans
    • Periphere Fazialisparese
    • Akute/chronische lymphozytärer Meningitis
    • Myelomeningoradikulitis
    • Chronische, progressive Enzephalomyelitis
    • Akute oder chronische Monarthritis
    • Transienter AV-Block.
  • Serologie ist nicht indiziert bei (4)
    • Erythema migrans (Ausnahme: Bei atypischem Hautbefund bei hohem V. a. Borreliose; in dieser Situation kann eine „0-Serologie“ (die zu diesem Zeitpunkt in > 50 % negativ ist) mit einer Follow-up-Serologie verglichen werden
    • Chronische Müdigkeit
    • Unspezifischen Beschwerden
    • Unklaren neurologischen Beschwerden ohne vorhergehende Symptome einer Borreliose
    • Zur Therapiekontrolle.

Serologie in 2 Schritten

1. Screening-Test (ELISA IgG/IgM): Nachweis AK (IgM+IgG) auf Borrelia burgdorferi (Bb); hohe Sensitivität, geringe Spezifität (häufig falsch positiv)

  • IgM nach 3–5 Wochen positiv, monate- bis jahrelange Persistenz möglich
  • IgG nach 6–8 Wochen positiv, monate- bis jahrelange Persistenz möglich

2. Bei positivem Screening-Test –> Bestätigungs-Test (Westernblot): Erfasst verschiedene spezifische Antikörper gegen Moleküle von Bb. Erst wenn Bestätigung positiv ausfällt, gilt die Serologie als positiv.

Cave: Frühe Antibiotikatherapie kann die Serokonversion verhindern! Unterschiedliche Spezifität je nach Borrelia burgdorferi subspecies.

Interpretation

  • Eine positive Serologie zeigt nur, dass ein Erregerkontakt stattfand, eine Aussage über die Aktivität der Erkrankung ist nicht möglich
  • Hohe Seroprävalenz in der Schweiz –> positive Serologie ohne Klinik nicht verwertbar, da viele asymptomatische Infektionen
  • Ein negativer serologischer Befund schliesst eine Lyme-Borreliose nicht aus, ist aber eine Rarität (falsch negative Serologie möglich, z. B. bei früh einsetzender, jedoch inadäquater Antobiotikatherapie, Behandlung mit Immunsuppressiva, Cortison)
  • Keine Therapie bei positiver Serologie ohne passende Klinik!
  • Bei unbehandelten Patienten, die trotz Symptomen länger als 6 Wochen nach Zeckenstich seronegativ bleiben, ist eine Lyme-Borreliose sehr unwahrscheinlich –> (weiter) nach anderen Ursachen fahnden!
  • Borrelien-AK (IgG und manchmal auch IgM!) bleiben auch nach Antibiotikatherapie über Jahre bis Jahrzehnte hoch, ohne dass Krankheitssymptome vorliegen oder Borrelien im Gewebe nachweisbar sind.

Hinweise zum direkten Erregernachweis

  • Direkter Erregernachweis (PCR-Untersuchung) aus Gelenkpunktat/Synovialbiopsie bei Verdacht auf Lyme-Arthritis (s. o.)
  • PCR im Liquor ist in < 50 % positiv, hier ist der Nachweis autochthoner AK im Liquor und Serum hilfreicher.

2.4. Therapie (2, 4, 8, 12, 19, 26)

  • Viele Manifestationen der Lyme-Borreliose heilen spontan. Trotzdem wird eine Antibiotikatherapie empfohlen, da sie die Heilung beschleunigt und die mögliche Progression und Spätfolgen verhindert
  • Die Antibiotikatherapie ist im Frühstadium auf die klinischen Manifestationen zuverlässiger wirksam als in der Spätphase. Eine korrekte Antibiotikatherapie eliminiert die Erreger immer, aber Folgeschäden können persistieren. Ausnahme kann eine Arthritis sein, die selten mehrere Zyklen einer Antibiotikatherapie erfordert
  • Das Ansprechen auf Antibiotika kann verzögert sein bzw. durch die Infektion „gesetzte“ Schäden heilen langsamer ab und können selten persistieren
  • Therapieversagen bei EM ist bei korrekter AB-Behandlung selten (ca. 10 %). Es ist nicht einfach zu erkennen, da das Erythem z. T. erst verzögert nach Ende der Antiobiotikatherapie abheilt.

Tabelle 1: Therapiempfehlungen für Erwachsene (4, 12, 26)

* Nach den Richtlinien der European Federation of Neurological Societies (15) und (19)
** Makrolide wegen schlechterer Wirksamkeit nur bei absoluten Kontraindikationen für andere Substanzen verwenden

Tabelle 2: Therapieempfehlungen für Kinder (12)

 

3. Frühsommer-Meningoencephalitis (FSME) (16, 17)

  • Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist eine durch ein gleichnamiges Virus verursachte akute Entzündung des Gehirns, der Hirnhäute und des Rückenmarks
  • Im Gegensatz zu den Borrelien werden die FSME-Viren sofort beim Stich übertragen.

Epidemiologie

  • Zweithäufigste zeckenübertragene Erkrankung in der Schweiz. Im Jahr 2020 wurden bis einschliesslich Juli 388 Fälle registriert. Dies entspricht dem Höchstwert seit der Einführung der Meldepflicht. (Lagebericht BAG, 9.2020)
    Hinweis: Selten ist auch eine Übertragung durch infizierte Milch (Käse aus unpasteurisierter Milch) beschrieben worden (17)
  • Laut BAG gelten alle Kantone, ausser Tessin und Genf, als Risikogebiete
  • Bei ca. 30 % der von einer infizierten Zecke gestochenen Personen tritt eine klinische Manifestation mit grippalen Symptomen auf. Von diesen wiederum entwickeln rund 30 % eine neurologische Symptomatik aus dem Formenkreis der Meningoencephalomyelitis (17).

    Hinweis: FSME-Viren können auch durch eine Organtransplantation von Mensch zu Mensch übertragen werden und hierdurch zum Tode führen. Auch immunmodulierende Behandlungen mit z. B. Rituximab können einen tödlichen Verlauf einer FSME-Virusinfektion bedingen (16)

  • Hospitalisierungsrate bei neurologischer Symptomatik: ca. 75 %
  • 100–250 Fälle /Jahr
  • Inkubationszeit: 10 (4–28) Tage.

Symptome

  • Typischerweise zunächst grippeähnliche Beschwerden (Fieber, Kopf-/Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit), die meist innert wenigen Tagen spontan verschwinden (und wahrscheinlich eine lebenslange Immunität hinterlassen)
  • Bei einem Teil der Patienten (ca. 30 %) kommt es nach einem beschwerdefreien Intervall zu einer zweiten Krankheitsphase mit den Zeichen der Meningitis oder Meningoencephalitis (mit Bewusstseins- und Koordinationsstörungen sowie Lähmungen von Extremitäten und Hirnnerven). Bei der seltenen (und schwerwiegendsten) Meningoencephalomyelitis finden sich auch Schluck- und Sprechstörungen, Lähmungen der Gesichts- und Halsmuskulatur sowie Atemlähmungen.

Diagnose

  • Anamnese, Klinik, IgM/IgG-AK im Serum, Liquordiagnostik

    Hinweis: Die Neuroborreliose geht nur selten mit hohem Fieber und einer vergleichbar schweren akuten Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens einher. Sensible Störungen sind bei der FSME sehr selten, bei der Neuroborreliose dagegen häufig (16).

Therapie

  • Symptomatische Behandlung, in ca. 5 % intensivmedizinische Therapie erforderlich.

Prognose

  • Die Meningitis heilt i. d. R. vollständig aus. Die Meningoencephalitis bildet sich langsam über Wochen bis Monate zurück. In schweren Verläufen bleibende Behinderungen (v. a. Paresen), in erster Linie bei Patienten > 60 J.
  • Langzeitfolgen: Von den hospitalisierten Patienten klagen nach 1 Jahr noch ca. 50 %, nach 5 Jahren noch ca. 30 % über unspezifische, v. a. neurasthenische Restbeschwerden (18). Neurologische Defizite sind gehäuft nach Meningoencephalitis (ca. 20 % nach 1–5 Jahren [16], bei der Encephalomyelitis 50 % persistierende Defizite nach 10 Jahren, 30 % Mortalität [20])
  • Mortalität: Ca. 1 % der Patienten mit neurologischen Symptomen
  • Die Prognose bei Kindern und Jugendlichen ist günstiger als bei Erwachsenen. Nachuntersuchungen zeigen jedoch bei bis zu einem Drittel Defizite in neuropsychologischen Tests (21).

Prophylaxe

  • Aktive Impfung, empfohlen für alle Personen ab 6 Jahre, die in Endemiegebieten wohnen bzw. sich dort aufhalten: Karte FSME-Impfempfehlung (Schweiz)
    • Impfung möglichst nicht während der Zeckensaison, da eine allfällige Impfreaktion kaum von einer Frischinfektion zu unterscheiden ist
    • Impfschutz nach vollständiger Grundimmunisierung (3 Dosen): 96–99 %. Rapell nach 10 Jahren empfohlen) –> s. a. BAG-Impfplan 2020

      Hinweis: Die Impfung gegen FSME erhöht nicht die Schubrate bei Patienten mit Multipler Sklerose (22).  

  • Geschlossene Kleidung, geschlossene Schuhe und Repellentien reduzieren das Risiko.

 

4. Andere durch Zecken übertragene Infektionen (23–25)

Zusätzlich kommen andere durch Ixodes Zecken übertragene Infektionen in der Schweiz und in Europa vor, sind seltener, und können für sich allein oder als Koinfektion mit Lyme-Borrelien oder FSME auftreten. Diese „Koinfektionen“ werden z. T. überdiagnostiziert mit falsch positiven Tests und fälschlicherweise verantwortlich gemacht für unklare Beschwerden oder einen schwereren Verlauf einer Lyme-Borreliose.

In Europa und in der Schweiz kommen die folgenden Krankheitserreger/Infektionen vor:

Babesiose

  • Babesien sind Protozoen, in Europa dominieren beim Menschen Infektionen durch Babesia divergens
  • Diagnostik: Direkter mikroskopischer Parasitennachweis oder molekularer Nachweis (PCR). Die Parasiten befallen die Erythrozyten und führen je nach Parasitendichte zu einer Hämolyse und Anämie. Die meisten Infektionen verlaufen wohl asymptomatisch. Die Infektion mit B. divergens betrifft v. a. immunkompromittierte Personen
  • Therapie: Antiparasitika (Kombination von Atovaquon and Azithromycin oder Clindamycin und Chinin).

Ehrlichiose

  • Ist eine durch Bakterien der Gattung Ehrlichia hervorgerufene Krankheit. In Europa kommt die granulozytäre Anaplasmose (Erreger: Anaplasma phagocytophilum) vor. Die meisten Infektionen verlaufen asymptomatisch
  • Symptome/Verlauf: Nach einer Inkubationszeit von 5–30 Tagen kann es zu Fieber und grippeähnlicher Symptomatik kommen, seltener sind gastrointestinale Beschwerden oder trockener Husten oder Exantheme; als schwere Komplikationen, v. a. bei Immunkompromittierten, Multiorganversagen
  • Diagnostik: Mikroskopischer Direktnachweis von Morulae in den Leukozyten im Blutausstrich, mittels PCR oder mittels Serologie. Therapie: Doxycyclin ist Mittel der Wahl, bei Kontraindikation Rifampicin.

Neoehrlichiose

  • Die Infektion mit Candidatus Neoehrlichia mikurensis ist eine seltene bakterielle fieberhafte Infektion mit unspezifischen „grippalen“ Beschwerden, v. a. bei Immunkompromittierten
  • Diagnostik: PCR.

Tularämie

  • Kann auch durch Zecken übertragen werden. Nach Zeckenstich kommt es dabei v. a. zu einer klinisch auffälligen Lymphadenopathie. Aber auch alle anderen bei Tularämie bekannten Manifestationen sind möglich
  • Therapie: Ist abhängig von der Dissemination der Infektion, u. a. Doxycyclin und/oder Aminoglykoside.

Rickettsiose

  • Die klinische und epidemiologische Bedeutung von Rickettsia helvetica ist noch ungeklärt.

 

5. Literatur

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  2. Krause M, Majer S: Lyme-Borreliose: die letzten 30 Jahre. Schweiz Med Forum 2012;12(50):976–979.
  3. Altpeter E, et al.: Tick related diseases in Switzerland, 2008 to 2011. Swiss Med Wkly 2013; 143.
  4. SSI Guideline Borrelien, Lyme Erkrankung, April 2020.
  5. Sonderegger M: Zeckenkrankheiten in der Schweiz – Borreliose und FSME, aber nicht nur! Schweiz Med Forum 2009;9(10):212–213.
  6. Huegli D, Moret J,: Prospective study on the incidence of infection by Borrelia burgdorferi sensu lato after a tick bite in a highly endemic area of Switzerland. Ticks Tick Borne Dis. 2011 Sep;2(3):129-36.
  7. Evison J, et al.: Abklärung und Therapie der Lyme-Borreliose bei Erwachsenen und Kindern. Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie. Teil 1: Epidemiologie und Diagnostik. SÄZ 2005;86: Nr 41 2332-2338.
  8. Diagnostik und Therapie der Lyme-Borreliose. Leitlinien der deutschen Borreliose-Gesellschaft. Deutsche Borreliose-Gesellschaft 12/10.
  9. Seltzer EG, et al.: Long-term outcomes of persons with Lyme disease. J Am Med Assoc 2000; 283: 609–16.
  10. Cerar D, et al.: Subjective symptoms after treatment of early Lyme disease. Am J Med 2010;123: 79–86.
  11. Hu L: Clinical manifestations of Lyme disease in adults. UpToDate, 12/2020.
  12. Evison J, et al: Abklärung und Therapie der Lyme-Borreliose bei Erwachsenen und Kindern. Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie. Teil 2: Klinik und Therapie. SÄZ 2005;86: Nr 41 2376-2384.
  13. Nadelman RB: Differentiation of Reinfection from Relapse in Recurrent Lyme Disease. NEIM 15/12.
  14. Wormser GP, et al.: The clinical assessement, treatment and prevention of Lyme disease, human granulocytic anaplasmosis, and babesiosis: clinical practice guidelines by the Infectious Diseases Society of America. Clin Infect Dis 2006;43:1089-134.
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  16. DGN: Frühsommer-Enzephalitis – Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, AWMF 01/2020.
  17. Krech T: Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Stetige Zunahme der Fälle trotz wirksamer Swiss Med Forum 03/06.
  18. Lämmli B, et al.: Spätfolgen nach Frühsommer-Meningoenzephalitis. Med. Wochenschrift 06/00.
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  20. Kaiser R: Langzeitprognose bei primär myelitischer Manifestation der FSME – eine Verlaufsanalyse über 10 Jahre. Nervenarzt 2011: 82: 1020–1025.
  21. Steffen R: Tick-borne encephalitis (TBE) in children in Europe: Epidemiology, clinical outcome and comparison of vaccination recommendations. Ticks Tick Borne Dis 2019; 10: 100-110.
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  25. Bundesamt für Gesundheit (Schweiz). Tularämie: Eine seltene zeckenübertragene Krankheit breitet sich aus. BAG-Bulletin 18 vom 30. April 2018.
  26. Lantos PM, et al.: Clinical Practice Guidelines by the Infectious Diseases Society of America (IDSA), American Academy of Neurology (AAN), and American College of Rheumatology (ACR):. 2020 Guidelines for the Prevention, Diagnosis and Treatment of Lyme Disease. Clinical Infectious Diseases, ciaa1215, https://doi.org/10.1093/cid/ciaa1215.

Danksagung: Wir danken Prof. Dr. med. Rainer Weber, em. Direktor der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene des USZ, für seine Expertise und wichtige Anregungen.

 

6. Impressum

Diese Guideline wurde im Dezember 2020 aktualisiert.
© Verein mediX

Herausgeber
Dr. med. Felix Huber

Redaktion (verantwortlich)
Dr. med. Uwe Beise
PD Dr. med. Corinne Chmiel
Dr. med. Maria Huber

Autoren
Dr. med. Uwe Beise
Dr. med. Andreas Kronenberg
Dr. med. Felix Huber

Rückmeldungen bitte an: uwe.beise_at_medix.ch

Diese Guideline wurde ohne externe Einflussnahme erstellt. Es bestehen keine finanziellen oder inhaltlichen Abhängigkeiten gegenüber der Industrie oder anderen Einrichtungen oder Interessengruppen.

mediX Guidelines enthalten therapeutische Handlungsempfehlungen für bestimmte Beschwerdebilder oder Behandlungssituationen. Jeder Patient muss jedoch nach seinen individuellen Gegebenheiten behandelt werden.

mediX Guidelines werden mit grosser Sorgfalt entwickelt und geprüft, dennoch kann der Verein mediX für die Richtigkeit – insbesondere von Dosierungsangaben – keine Gewähr übernehmen.

Der Verein mediX ist ein Zusammenschluss von Ärztenetzen und Ärzten in der Schweiz.
Verein mediX, Sumatrastr. 10, 8006 Zürich.

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