Guideline
Vitamin B12-Mangel
Zuletzt revidiert: 05/2023 Letzte Änderung: 05/2023
Aktualisierung 05/2023
- Die Guideline wurde vollständig durchgesehen, auf Aktualität geprüft und geringfügig erweitert
- Neu: PatientInnen unter Metformin-Therapie sollten auf Vitamin B12-Mangel gescreent werden (Kapitel 3)
- Das Kapitel 4 (Therapie) wurde überarbeitet: Neu ist ein kassenpflichtiges Vitamin B12-Präparat zur peroralen Anwendung. Hinzugefügt wurden Hinweise zur Dosierung der Vitamin B12-Substitutionstherapie, auch unter Berücksichtigung einer veganen Ernährungsweise.
1. Physiologie (1–3)
Funktion
- Vitamin B12 und Folat sind für Zellteilung und ‑differenzierung von Bedeutung, z. B. bei der Blutbildung, und essenziell für die Entwicklung und Funktionsfähigkeit des zentralen und peripheren Nervensystems.
Metabolismus
- Magensäure, Pepsin und Pankreas-Proteasen lösen Vitamin B12 aus den Nahrungsproteinen, an das es gebunden ist, sodass es sich an den intrinsic factor (IF) binden kann. Pepsin, Magensäure und IF werden im Magen gebildet. Die Resorption erfolgt im terminalen Ileum über spezifische Rezeptoren für den B12-IF-Komplex
- Im Blut liegen 10–30 % des gesamt B12 als metabolisch aktives Holo-Transcobalamin (Holo-TC, aktives Vitamin B12) vor
- Vitamin B12 wird in der Leber gespeichert. Gefüllte Speicher reichen bei fehlender Vitamin B12-Aufnahme für etwa 3–5 Jahre
- Foläuremangel tritt innert kurzer Zeit (3 Wochen) bei ungenügender Vitaminzufuhr auf.
Tagesbedarf
- Der Tagesbedarf beträgt 4 μg im Jugendlichen- und Erwachsenenalter. Lediglich bei Schwangeren und Stillenden liegt der Tagesbedarf mit 4,5–5,5 μg etwas höher. Westliche Normalkost enthält ca. 6–9 μg/d.
- Relevante Vitamin B12-Quellen für den Menschen sind ausschliesslich Fleisch, Fisch, Ei und Milchprodukte. Vegane weisen deshalb nach gewisser Zeit ohne adäquate Substitution einen B12-Mangel auf!
⇒ Nahrungsmittel mit hohem Vitamin B12-Gehalt –> siehe DGE.
2. B12-Mangel: Ursachen und Auswirkungen (1–4)
Definition eines B12-Mangels
- Ein Vitamin B12-Mangel ist definiert durch eine unzureichende Zufuhr und/oder Resorption von Vitamin B12. Laborchemisch ist von einem kritischen Vitamin B12-Spiegel bei Serumwerten < 150 pmol/l auszugehen. Einheitliche Grenzwerte existieren jedoch nicht, entscheidend für die Beurteilung ist letztlich die Klinik. Ein erniedrigter B12-Serumspiegel ist nicht einem Mangel gleichzusetzen. So kommt es bei Frauen, welche die Anti-Baby-Pille nehmen, vor, dass die Serum-B12-Spiegel zwar teilweise verringert sind, aber intrazellulär normal.
Ursachen
⇒ Vitamin B12-Mangel ist im Alter zumeist ein Resorptionsproblem, der Folsäuremangel ein Ernährungsproblem
- Mangel an Intrinsic Faktor (IF)
- Perniziöse Anämie (Auto-AK gegen Parietalzellen und Intrinsic Factor –> atrophische Gastritis) ist die häufigste Ursache beim alten Menschen!
- St. n. Magenresektion
- Mangelhafte B12-Zufuhr: Vegane Ernährung
- Malabsorption: Alkoholismus, Magen-Darm-OP, Gastritis, H. pylori, atrophische Gastritis, Metformintherapie (6), hohes Lebensalter (7), ev. PPI/Antazida (s. a. Kap. 3)
- Selten: Vermehrter Verbrauch durch Fischbandwurm, bakterielle Darmüberwucherung.
Klinik eines echten Vitamin B12-Mangels (4, 5)
Hämatologisch
- Bei Anämie entsprechende allgemeine Anämie-Symptome (Blässe, Müdigkeit, mangelnde Leistungsfähigkeit)
- In schweren Fällen strohgelbe Haut und Haarausfall (–> mediX Guideline Haarausfall).
Gastrointestinal
- Autoimmungastritis
- Trophische Schleimhautveränderungen: Hunter Glossitis, glatte, rote Zunge, Zungenbrennen.
Neurologisch
- Funikuläre Spinalerkrankung mit Gangunsicherheit (Ataxie), Paresen (Pyramidenbahnzeichen); Zeichen einer Polyneuropathie mit schmerzhaften Parästhesien an Händen und Füssen, Frühzeichen: Gestörte Tiefensensibilität (Vibrationsempfinden –> Stimmgabelversuch)
- Unklare/uncharakteristische neurologische Bilder wie Schwäche, Demenz, Depression, Parästhesien, Polyneuropathie, sensorische Ataxien (können manchmal Monate bis Jahre hämatologischen Anomalien vorausgehen) (5, 17).
Hinweis: Es fehlt Evidenz, dass isolierter Vitamin B12-Mangel ohne neurologische und/oder hämatologische Auffälligkeiten Ursache von Müdigkeit ist (23).
3. Diagnostik (1–5)
Indikationen zur Diagnostik
⇒ Der Nutzen eines allgemeinen Screenings auf Vitamin B12 ist bei fehlenden Risikofaktoren nicht gegeben!
- Die Diagnostik empfiehlt sich nur in folgenden Situationen
- Bei klinischem Verdacht: Makrozytose (s. Labor), Demenz, Parästhesien, Polyneuropathie, Glossitis, Anzeichen von Malnutrition (gehäuft bei Alkoholismus, chronischen Magen-Darm-Krankheiten, strikten Veganern, alten Menschen)
- Bei bestimmten Risikopatienten: St. n. Magenresektion, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, nach bariatrischen Eingriffen (s. mediX Factsheet Bariatrische Chirurgie – Nachkontrollen), Schwangerschaft
Hinweis: Es ist nicht gesichert, ob PPI-Behandlung gehäuft mit einem Vitamin B12-Mangel einhergeht. Die Studienlage ist widersprüchlich. Bei langfristiger PPI-Einnahme und Auftreten von Symptomen und/oder Hinweisen aus Laborbefunden, kann eine B12-Bestimmung erwogen werden (13, 14, 26–28).
- Bei Typ-2-Diabetikern unter Metformin-Therapie kann ein B12-Mangel auftreten (7). Deshalb ist ein Test auf Vitamin B12 etwa 5 Jahre nach Therapiebeginn sinnvoll, anschliessend individuell maximal jährlich.
Labor
Blutbild
- Makrozytäre Anämie: MCV > 98 fl, übersegmentierte Granulozyten im Ausstrich, Panzytopenie (–> s. a. mediX GL Hämatologie)
Beachte- Makrozytose kann durch einen gleichzeitigen Eisenmangel maskiert werden. Wenn der Eisenmangel schwerer ist als der B12-Mangel, dominiert die mikrozytäre Anämie
- Makrozytose und Anämie werden zwar gelehrt als Indikatoren für B12 Mangel, sie sind jedoch beide extrem unspezfisch und wenig sensitiv (21)
- Nur 1,4 % aller Anämien und nur 18 % der makrozytären Anämien sind durch einen B12-Mangel verursacht.
Spezifische Teststrategie
- Es gibt keinen Einzeltest als Goldstandard für die Diagnose des B12-Mangels und auch keinen Konsens unter Experten bezüglich entsprechender Grenzwerte!
- Labortests erlauben lediglich einen Vergleich mit Referenzwerten, welche aus dem Wertebereich von mutmasslich gesunden ProbandInnen hergeleitet wurden. Ein Serum-B12-Messresultat unter dem Referenzwert bedeutet nicht automatisch einen biologisch relevanten B12-Mangel.
⇒ Die Diagnose des Vitamin B12-Mangels stützt sich primär auf Risikofaktoren, passende Klinik und das Serum-B12 und bei Bedarf (je nach Messresultat) auf weitere Laboruntersuchungen.
Vorgehen
- Bei klinischem Verdacht auf Vitamin B12-Mangel oder bei Risikopatienten:
Zuerst Vitamin B12 im Serum bestimmen. Bei Erstbestimmung gleichzeitig Folsäure in Erythrozyten bestimmen, da Vitamin B12- und Folsäuremangel oft kombiniert vorkommen (besonders im Alter, bei Alkoholismus oder bestimmten Diäten)
Beachte: Bei Schwangeren wegen grösserer Zuverlässigkeit Holo-TC statt Vitamin B12 bestimmen! (15, 16)
→ Laborergebnis B12 < 150 pmol/l
Bei passender Klinik oder bei Risikofaktoren ist ein klinisch relevanter Mangel möglich oder es besteht zumindest das Risiko, einen relevanten Mangel zu entwickeln –> Therapieindikation s. Kap. 4.
Beachte: Falsch-niedrige Messresultate für B12 sind möglich bei SS, Multiplem Myelom, Folsäuremangel, Anti-Baby-Pille
→ Laborergebnis B12 150–250 pmol/l (Graubereich)
Methylmalonsäure (MMS) bestimmen: Bei erhöhten Werten (MMS > 270 nmol/l) Therapie beginnen –> siehe Kap. 4.
Weiterführende Untersuchungen/Ursachenabklärung
- Auto-AK Intrinsic Factor (spezifischer als gegen Parietalzellen) bei Frage nach Anaemia perniciosa (nur erforderlich wenn Vitamin B12 < 150 pmol/l, MMS > 270 nmol/l oder neurologische Zeichen eines B12-Mangels vorliegen)
- Bei pos. Auto-AK gegen Intrinsic Factor (atrophische Gastritis) soll eine einmalige diagnostische Gastroskopie durchgeführt werden (29). Findet sich dabei nur eine atrophische Gastritis ohne weitere Risikomerkmale (z. B. Dysplasien), sind keine weiteren Kontrolluntersuchungen erforderlich
- Bei Verdacht auf Malabsorption: Ferritin, Folsäure, korrigiertes Calcium, Zöliakie-AK, Calprotectin im Stuhl, allenfalls Pankreas-Elastase.
Hinweis: Eine Abklärung auf Fischbandwurm-Infektion soll nur bei entsprechenden Verdachtsmomenten erfolgen: Gastrointestinale Symptome, Aufenthalt in Risikogebieten, Hinweise auf Malnutrition, hoher B12-Substitutionsbedarf.
Cave Laborinterpretation
-
Makrozytose kann durch Eisenmangel und Thalassämie maskiert werden
-
Es gibt B12-Mangel mit neurologischen Auswirkungen ohne Makrozytose und ohne Anämie
-
MMS kann auch bei Niereninsuffizienz erhöht sein.
-
4. Therapie
Substitutionsdauer
- Bei Auto-AK gegen Anti-Intrinsic-Factor (Perniziosa), St. n. Magen-/Ileumresektion und Veganern lebenslang
- In allen anderen Fällen Vitamin B12-Speicher auffüllen (ist meist nach ca. 3 Monaten regelmässiger oraler Substitution erreicht) und anschliessend individuell den Vitamin B12-Bedarf herausfinden.
Parenterale Substitution
- Medikamente der Wahl sind die klinisch gleichwertigen Produkte Vitarubin® superconc
1’000 μg oder Vitamin B12 amino® (Cyancobalamin) oder Vitarubin® Depot (Hydroxycobalamin), alle drei kassenpflichtig- Vitarubin® Depot i.m.: In akuten Fällen 2–3-mal wöchentlich 1’000µg, dann wöchentlich für einen Monat, anschliessend alle 2–3 Monate. Zur Dauertherapie der Perniziosa: 1’000 µg alle 2–3 Monate
- Vitarubin® Inj Lös i.m., ev. tief s.c. (bei DOAK/NOAK-Einnahme), auch langsam i.v. ist möglich (wird aber nicht empfohlen). Bei Perniziosa ohne neurologische Beteiligung: In den ersten Wochen 1’000µg Cyanocobalamin (1 Ampulle) 1 x wöchentlich bis zur Normalisierung des Blutbildes. Bei makrozytärer Anämie mit neurologischen Schäden: 1’000 µg Cyanocobalamin alle 2 Tage bis zur Besserung des Blutbildes, dann Erhaltungstherapie: 1’000 µg monatlich.
Orale Substitution
- Perorale Therapie mit hochdosierten B12-Tabletten ist eine nicht unterlegene Alternative (21), selbst bei eingeschränkter Resorptionsfähigkeit (18) im Alter. Auch bei PatientInnen nach Gastrektomie (also ohne intrinsic factor) kann eine perorale B12-Therapie erfolgen (19), bei Bedarf kann die Dosis dabei auf 2’000 μg erhöht werden (20).
Vorteile: Meist Fehlen von Nebenwirkungen, von PatientInnen bevorzugte Applikation.
Nachteil: Patientencompliance möglicherweise schwieriger aufrechtzuerhalten; bei neurologischen Symptomen deshalb eher parenteral behandeln. - Kassenpflichtig: Vitarubin® Oral Filmtabl 1’000 μg, Cyanocobalamin zur Rose® 1’000 μg („Magistralrezept“ auf Bestellschein schreiben)
- Ein laktosefreies Präparat ist Burgerstein Vitamin B12 Boost 500 µg (2 Tbl. pro Tag), nicht kassenpflichtig.
mediX schlägt folgendes Vorgehen vor
- Zu Beginn (nach Erstdiagnose) eine i.m.-Injektion Vit B12, anschliessend mit oraler Behandlung fortfahren: 1’000 μg/d für 8 Wochen, dann in Woche 9–52 1’000 μg/Woche (in Anlehnung an [25])
- Kontrollen zu Beginn engmaschig (Compliance!), dann nach 6 und 12 Monaten.
Prophylaktische Substitution bei Veganern (nicht kassenpflichtig) (22)
- Eine ausreichende B12-Aufnahme ist bei rein veganer Ernährung nicht möglich, weshalb eine prophylaktische B12-Substitution zur Verhinderung einer Mangelversorgung notwendig ist
- Einzige pflanzliche B12-Quellen sind gewisse Algen oder manche Pilze, die aber kaum zugänglich sind oder kaum regelmässig in genügender Menge eingenommen werden können
- Eine parenterale Supplementierung bei sich vegan Ernährenden ist nicht indiziert, da eine orale Supplementierung zu einer genügenden B12-Substitution führt
⇒ Praktisch alle frei verkäuflichen Produkte, die im Internet angeboten werden, sind für Veganer zu hoch dosiert, die Good Manufacturing Practice ist nicht nachvollziehbar.
Vorschläge für eine Low dose-Supplementierung
- 12-Tropfen Ankermann: 1 ml = 19 Tropfen = 50 µg, d. h. 1 Tropfen = 2,631 µg; eine angemessene Dosierung ist 2 x täglich 1 Tropfen
- Vit. B12 Tabletten Ratiopharm: Tabl. à 10 Mikrogramm
Diese Produkte sind in Deutschland offiziell zugelassen und können von Apotheken in der Schweiz problemlos importiert werden.
Hinweis: Im Handel befinden sich auch B12-Nasensprays (z. B. NATURSTEIN Vitamin B12 Spray in einer Dosierung von 500 µg B12 pro Sprühstoss) sowie mit B12 angereicherte Zahncremes (ohne Dosierungsangabe und ausreichenden Wirksamkeitsnachweis).
Ansprechen der Therapie
- Mangelbedingte Makrozytose und MMS-/Homocysteinerhöhung normalisieren sich innert 3 Monaten
- Mangelbedingte Hb-Werte steigen innert zwei Wochen an
- Kontrollen: Bei lebenslanger und von der Dosis her etablierter Substitution und stabiler klinischer Situation sind keine routinemässigen B12-Bestimmungen erforderlich. In allen anderen Fällen nach Auffüllen der Vitamin B12-Speicher (also im steady state) jährliche Vitamin B12-Kontrolle (Empfehlung ohne Evidenz aus Studien).
Hinweise
- Neurologische Symptome/Befunde sind oft irreversibel
- Der Nutzen einer Supplementierung von B-Vitaminen und Folsäure zur Therapie oder Prophylaxe von Demenz, Herz-Kreislaufkrankheiten oder Tumoren ist nicht bewiesen (8–10)
- Zum Nutzen einer Therapie des subklinischen Vitamin B12-Mangels liegen keine hinreichenden Erkenntnisse vor auch nicht für Müdigkeit und andere fraglich assoziierten Symptome
- Für Vitamin-B12 Supplementierung bei Serum-B12 im Graubereich und ohne neurologische Befunde gibt es keine Hinweise für einen Nutzen auf kognitive Leistung, depressive Symptome oder Müdigkeit sowie keine Evidenz für eine Verbesserung einer Makrozytose (17, 23, 24).
5. Literatur
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6. Impressum
Diese Guideline wurde im Mai 2023 aktualisiert
© Verein mediX schweiz
Herausgeberin
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel
Redaktion
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel
Dr. med. Felix Huber
Dr. med. Uwe Beise
Dr. med. Maria Huber
Autoren
Dr. med. Andreas Burkhart
Dr. med. Felix Huber
Prof. Dr. med. Corinne Chmiel
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