Vitamin B12-Mangel

Erstellt von: Andreas Burkhart, Felix HuberZuletzt revidiert: 01/2019 Letzte Änderung: 05/2020

Aktualisierung 05/2020

  • Neu kann Vitamin B12 (Cyanocobalamin) zur peroralen Therapie bei der Apotheke Zur Rose bestellt werden. Die Kosten werden von der Krankenkasse übernommen (Kap. 4). Bitte den Bestellschein verwenden. 
  • Änderung: Bei Vitamin B12-Mangel und positiven Intrinsic Factor-Antikörpern soll eine einmalige diagnostische Gastroskopie erfolgen (Kap. 3 –> Weiterführende Untersuchungen) 

 

1. Physiologie (1–3)

  • Vitamin B12 ist zusammen mit Folsäure ein wichtiger Kofaktor der DNA-Synthese. Vitamin B12 und Folsäure wirken auf unterschiedliche Schritte der DNA-Synthese
  • Vitamin B12 wird in der Leber gespeichert und reicht bei fehlender Vitamin B12-Aufnahme für 3–5 Jahre
  • Foläuremangel tritt innert kurzer Zeit (3 Wochen) bei nicht genügender Vitaminzufuhr auf
  • Vitamin B12-Mangel ist im Alter zumeist ein Resorptionsproblem, der Folsäuremangel ein Ernährungsproblem
  • Vitamin B12-Quellen für den Menschen sind ausschliesslich Fleisch- und Milchprodukte:
  • Der Tagesbedarf beträgt 5­–7 μg. Westliche Normalkost enthält 6–9 μg/d
  • Gesunde Menschen speichern 2­–5 mg, die Hälfte davon in der Leber – ein Vorrat, der für mehrere Jahre ausreicht!
  • Magensäure, Pepsin und Pankreas-Proteasen bauen das Nahrungs-B12 soweit ab, dass es sich an den intrinsic factor (IF) binden kann. Pepsin, Magensäure und IF werden im Magen gebildet. Die Resorption erfolgt im terminalen Ileum über spezifische Rezeptoren für den B12-IF-Komplex
  • 70–90 % des Gesamt-B12 ist an Haptocorrin gebunden und in dieser Form inaktiv
  • 10–30 % liegen als metabolisch aktives Holo-Transcobalamin (Holo-TC) (aktives Vitamin B12) vor.

 

2. Ursachen und Auswirkungen (1–4)

Ursachen

  • Mangel an Intrinsic Faktor (IF)
    • Perniziöse Anämie (Auto-AK gegen Parietalzellen und Intrinsic Factor –> atrophische Gastritis) ist häufigste Ursache beim alten Menschen!
    • St. n. Magenresektion
  • Mangelhafte B12-Zufuhr: Vegane Ernährung
  • Malabsorption: Alkoholismus, Magen-Darm-OP, Gastritis, H. pylori, atrophische Gastritis
  • Selten: Vermehrter Verbrauch durch Fischbandwurm, bakterielle Darmüberwucherung.

Hinweis

Die Resorptionsverminderung durch Biguanide, Neomycin und NOsind zwar messbar, aber nicht praxisrelevant. Bei Langzeittherapie mit Säureblockern gibt es widersprüchliche Daten (13, 14).

Klinik des Vitamin B12-Mangels

Hämatologisch

  • Allgemeine Anämiesymptome (Blässe, Müdigkeit, mangelnde Leistungsfähigkeit), in schweren Fällen strohgelbe Haut
  • Labor: makrozytäre Anämie MCV > 98 fl, übersegmentierte Granulozyten im Ausstrich, Panzytopenie. Anstieg von Homocystein (HCY) und Methylmalonsäure (MMS). Bei Folsäuremangel nur Anstieg von HCY.
    Beachte
    • Makrozytose kann durch einen gleichzeitigen Eisenmangel maskiert werden! Wenn Eisenmangel schwerer als B12-Mangel, dominiert die mikrozytäre Anämie
    • Homocysteinerhöhung wird als kardiovaskulärer Risikofaktor diskutiert. Eine Senkung von HCY durch Vitaminsupplementierung ist aber nicht kardiopräventiv wirksam (5–7).

Gastrointestinal

  • Autoimmungastritis
  • Trophische Schleimhautveränderungen: Hunter Glossitis, glatte, rote Zunge, Zungenbrennen.

Neurologisch

  • Funikuläre Spinalerkrankung mit Gangunsicherheit (Ataxie), Paresen (Pyramidenbahnzeichen); Zeichen einer Polyneuropathie mit schmerzhaften Parästhesien an Händen und Füssen, Frühzeichen: gestörte Tiefensensibilität (Vibrationsempfinden –> Stimmgabelversuch)
  • Unklare/uncharakteristische neurologische Bilder wie Schwäche, Demenz, Depression, Parästhesien, Polyneuropathie, sensorische Ataxien (können manchmal Monate bis Jahre hämatologischen Anomalien vorausgehen).
    Hinweis
    Isolierter Vitamin B12-Mangel ist ohne neurologische und/oder hämatologische Auffälligkeiten keine Ursache von Müdigkeit.

 

3. Diagnostik (1-4)

Indikationen zur Diagnostik

  • Der Nutzen eines allgemeinen Screenings auf Vitamin B12 ist nicht bewiesen
  • Die Diagnostik empfiehlt sich in folgenden Situationen:
    • Bei klinischem Verdacht: Makrozytose, Demenz, Parästhesien, Polyneuropathie, Glossitis, Anzeichen von Malnutrition (gehäuft bei Alkoholismus, chronischen Magen-Darm-Krankheiten, strikten Veganern, alten Menschen)
    • Bei bestimmten Risikopatienten: St. n. Magenresektion und bariatrischen Eingriffen.

Diagnostische Überlegungen

  • Es gibt keinen Einzeltest als Goldstandard für die Diagnose des B12-Mangels!
  • Normbereiche sind statistische Konstrukte (± 2 SD vom Mittelwert in einem unselektierten Kollektiv). Im Grenzbereich korrelieren sie schlecht mit dem biologisch relevanten B12-Mangel:
    –> Im unteren Grenzbereich von Vitamin B12 und Holo-TC können „normale“ Werte einen B12-Mangel maskieren
    –> Umgekehrt können subnormale Werte einen Vitamin B12-Mangel vortäuschen
  • Vitamin B12- oder Holo-TC-Bestimmungen sind darum nur sinnvoll bei klinischem und laborchemischem Verdacht auf einen Vitamin B12-Mangel, bei fehlender intestinaler Aufnahme, z. B. nach ausgedehnter Magen- und bariatrischer Chirurgie, sowie mangelnder Zufuhr von Vitamin B12 z. B. bei Vegetariern oder Veganern
  • Zur Bestätigung eines vermuteten B12-Mangels bei Werten im Grenz- und Niedrigbereich von Vitamin B12 im Serum oder Holo-TC soll die Methylmalonsäure bestimmt werden.

Abklärungsalgorithmus

mediX-Empfehlung für das praktische Vorgehen (s. a. Abbildung):

  • Bei klinischem Verdacht auf Vitamin B12-Mangel oder bei Risikopatienten: Vitamin B12 im Nüchtern-Serum bestimmen. Beachte: Bei Schwangeren wegen grösserer Zuverlässigkeit Holo-TC statt Vitamin B12 bestimmen (15, 16)                            
    • bei B12 < 150 pmol/l: Therapiebeginn (Beachte: falsch-positive Resultate für B12-Mangel möglich bei: SS, Multiplem Myelom, Folsäuremangel, Anti-Baby-Pille)
    • Bei B12 150–250 pmol/l (Graubereich): Bei klinisch und laborchemisch hohem Verdacht auf einen Vitamin B12-Mangel, Beginn Substitutionstherapie und ggfls. Verifizierung mit Methylmalonsäure (MMS), ansonsten Kontrolle des Vitamin B12nach 1–2 Monaten:
      • Falls bei Kontrolle B12-Mangel, Beginn mit der Substitutionstherapie
      • Falls bei Kontrolle B12 erneut im Graubereich –> Methylmalonsäure (MMS) bestimmen: bei erhöhten Werten (MMS > 270 nmol/l) Therapie beginnen.
      • Falls bei Kontrolle Normalwerte, keine weitere Abklärung mehr.
  • Bei der Vitamin B12-Erstbestimmung gleichzeitig Folsäure in Erythrozyten bestimmen, da Vitamin B12- und Folsäuremangel oft kombiniert vorkommen (besonders im Alter)
  • Auch bei ungezielter Abklärung (z. B. auf Wunsch des Patienten) soll zuerst das Vitamin B12 bestimmt werden.

Weiterführende Untersuchungen/Ursachenabklärung

  • Auto-AK Intrinsic Factor (spezifischer als gegen Parietalzellen) bei Frage nach Anaemia perniciosa (nur erforderlich wenn Vitamin B12 < 150 pmol/l oder neurologische Zeichen eines Vitamin B12-Mangels vorliegen)
  • Bei pos. Auto-AK gegen Intrinsic Factor (atrophische Gastritis) soll eine einmalige diagnostische Gastroskopie durchgeführt werden. Findet sich dabei nur eine atrophische Gastritis ohne weitere Risikomerkmale (z. B. Dysplasien), sind keine weiteren Kontrolluntersuchungen mehr erforderlich
  • Bei Verdacht auf Malabsorption: Ferritin, Folsäure, Albumin, Ca, Zöliakie-AK.

Cave Laborinterpretation

  • Makrozytose kann durch Eisenmangel und Thalassämie maskiert werden!
  • Es gibt B12-Mangel mit neurologischen Auswirkungen ohne Makrozytose und ohne Anämie!
  • MMS kann auch bei Niereninsuffizienz erhöht sein.

 Algorithmus Vit B12

 

 

4. Therapie

  • Substitutionsdauer: Bei Auto-AK gegen Anti-Intrinsic-Factor (Perniziosa), St. n. Magen-/Ileumresektion und Veganern lebenslang. In allen anderen Fällen Vitamin B12-Speicher auffüllen (ist nach ca. 3 Monaten regelmässiger Substitution erreicht) und anschliessend individuell den Vitamin B12-Bedarf herausfinden
  • Medikamente der Wahl sind die klinisch gleichwertigen Produkte Vitarubin® superconc 1’000 μg (Cyancobalamin) oder Vitarubin® Depot (Hydroxycobalamin), beide kassenpflichtig. Intramuskulär oder subkutan: Woche Tag 1, 3 und 5 oder Tag 1–5, dann wöchentlich für einen Monat, anschliessend alle (1–)3 Monate
    Hinweis: Bei DOAK/NOAK Einnahme kann die Injektion tief subkutan verabreicht werden
  • Alternative: Perorale Therapie mit hochdosierten B12-Tabletten:
    • Vitamin B12 Ankermann 1’000 μg (ca. CHF 0.3–0.5 /d). Vorteil: nicht invasiv. Nachteil: nicht kassenpflichtig, ca. CHF 110–180.–/Jahr
    • Ein laktosefreies Präparat ist z. B. Jarrow Methyl B12 1‘000 µg, das aus Deutschland bestellt werden kann
    • NEU: Vitamin B12 kann direkt bei der Apotheke Zur Rose bestellt werden. Die Kosten werden von der KK übernommen. Rezept: 1 OP Cyanocobalamin 1 mg 100 Stk. Bitte den Bestellschein verwenden.

Ansprechen der Therapie

  • Mangelbedingte Makrozytose und MMS-/Homocysteinerhöhung normalisieren sich innert 3 Monaten
  • Mangelbedingte Hb-Werte steigen innert zwei Wochen an
  • Kontrollen: Bei lebenslanger Substitution sind keine routinemässigen B12-Bestimmungen erforderlich. In allen anderen Fällen nach Auffüllen der Vitamin B12-Speicher (also im steady state) jährliche Vitamin B12-Kontrolle (Empfehlung ohne Evidenz aus Studien).

Hinweise

  • Neurologische Symptome/Befunde sind oft irreversibel
  • Der Nutzen einer Supplementierung von B-Vitaminen und Folsäure zur Therapie oder Prophylaxe von Demenz, Herz-Kreislaufkrankheiten oder Tumoren ist nicht bewiesen (7–11)
  • Zum Nutzen einer Therapie des subklinischen Vitamin B12-Mangels liegen keine hinreichenden Erkenntnisse vor.

 

5. Literatur

  1. Dazzi H, Herren T: Megaloblastäre Anämien. Vitamin-B12-(Cobalamin-) und Folsäuremangel und die Homocysteine Connection.Schweiz Med Forum 2005;5:431–437.
  2. Dali-Youcef N, Andrès E: An update on cobalamin deficiency in adults. Q J Med 2009; 102:17–28.
  3. Herrmann W, Obeid R: Ursachen und frühzeitige Diagnostik von Vitamin-B12-Mangel. Dtsch Arztebl 2008; 105(40): 680–5 DOI: 10.3238/arztebl.2008.0680.
  4. Stabler SP: Vitamin B12 Deficiency N Engl J Med 368 (2013): 149-160.
  5. Hankey GJ, Eikelboom JW: Homocysteine and vascular disease. Lancet 1999;354:407–13.
  6. Welch GN, Loscalzo J: Homocysteine and atherothrombosis. N Engl J Med 1998;338:1042–50.
  7. Study of the Effectiveness of Additional Reductions in Cholesterol and Homocysteine (SEARCH) Collaborative Group: Effects of Homocysteine-Lowering With Folic Acid Plus Vitamin B12 vs Placebo on Mortality and Major Morbidity in Myocardial Infarction Survivors A Randomized Trial.JAMA 2010;303(24):2486-2494.
  8. Yiqing Song, et al.: Effect of Combined Folic Acid, Vitamin B6, and Vitamin B12 on Colorectal Adenoma. JNCI J Natl Cancer Inst (2012) doi: 10.1093/jnci/djs370.
  9. Gaziano JM, et al.: Multivitamins in the Prevention of Cancer in Men: The Physicians' Health Study II Randomized Controlled Trial. J Am Med Assoc. Epub October 17, 2012.
  10. Sesso HD, et al.: Multivitamins in the Prevention of Cardiovascular Disease in Men: The Physicians' Health Study II Randomized Controlled Trial. J Am Med Assoc 2012; 308(17):1751-1760.
  11. Homocysteine-Lowering by B Vitamins Slows the Rate of Accelerated Brain Atrophy in Mild Cognitive Impairment: A Randomized Controlled Trial. Plos 0ne 09/2010.
  12. Lindenbaum J, et al.: Neuropsychiatric disorders caused by cobalamin deficiency in the absence of anemia or macrocytosis. N Engl J Med 318(1988):1720-1728.
  13. Heidelbaum JJ, et al.: Adverse Risks Associated With Proton Pump Inhibitors: A Systematic Review .Gastroenterology & Hepatology 5 (2009) :725-734 vs. Aliment Pharmacol Ther 2015.
  14. Altwood SE, et al.: Long-term safety of proton pump inhibitor therapy assessed under controlled, randomised clinical trial conditions: data from the SOPRAN and LOTUS studies.Aliment Pharmacol Ther.2015 Jun;41(11):1162-74.
  15. Murphy MM, et al.: Longitudinal study of the effect of pregnancy on maternal and fetal cobalamin status in healthy women and their offspring. J Nutr 2007;137:1863–7.
  16. Morkbak AL, et al.: Holotranscobalamin remains unchanged during pregnancy. Longitudinal changes of cobalamins and their binding proteins during pregnancy and postpartum. Haematologica 2007;92:1711–2.

 

6. Impressum

Diese Guideline wurde im Januar 2019 aktualisiert.  
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Herausgeber
Dr. med. Felix Huber

Redaktion (verantwortlich)
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Autoren
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