Diagnostik
- Ein Screening bei älteren Menschen ist nicht sinnvoll, stattdessen Case-finding
- Die eingehende Eigen- und Fremdanamnese ist entscheidend – und wichtiger als etwa psychometrische Tests!
Red Flags
- Subjektive Beschwerden, Hinweise durch Angehörige, Spitex oder Dritte
- Auffälligkeiten in der Praxis (Probleme bei der Termineinhaltung, beim Medikamenten- und Diabetesmanagement)
- Neue Probleme bei den Finanzen (z. B. Mahnungen)
- St. nach Delir
Alzheimer-Demenz
- Neben der typischen Verlaufsform gibt es nicht amnestische Varianten
Lewy-Body-Demenz (LBD)
- Die Diagnose LBD erfolgt an 4 Hauptkriterien. Wenn zwei Kriterien erfüllt sind, ist die Diagnose wahrscheinlich
Frontotemporale Demenz (FTD)
- Die FTD ist die häufigste Demenz im Alter < 50 J.
- Je nach Variante bestimmen Verhaltensänderung oder Sprachveränderungen das klinische Bild
- In der Frühphase sind Gedächtnis und Orientierung erhalten
Bei der Verhaltensvariante müssen mindestens 3 der folgenden Kriterien erfüllt sein
- Schon im frühen Stadium Auftreten von Enthemmung (sozial inadäquates Verhalten, impulsives Verhalten, Verlust von Manieren)
- Apathie/Trägheit
- Verlust von Empathie (Einfühlungsvermögen, soziales Interesse u. a.)
- Perseveratives/zwanghaftesVerhalten (repetitive Bewegungen, stereotype Sprache, rituelles Verhalten)
- Hyperoralität (verändertes Essverhalten, "Binge Eating", vermehrter Alkohol- oder Zigarettenkonsum, Verzehr von nicht Essbarem)
- Dysexekutives neuropsychologisches Profil
Vaskuläre Demenz (Vascular cognitive disorder VCD)
Für die Diagnose einer VCD ist erforderlich
Klinisch
- Kognitive Einbussen im zeitlichen Zusammenhang mit zerebrovaskulärem Ereignis (Stroke) –> Der Beginn ist oft abrupt mit schrittweisem oder fluktuierendem Verlauf
Oder auch ohne Anamnese eines zerebrovaskulären Ereignisses, bei
- Verlangsamter Informationsverarbeitung, komplexer Aufmerksamkeitsstörung +/- frontaler Exekutivfunktionsstörung
Zusätzlich mindestens ein klinisches Kriterium
- Imperativer Harndrang/andere Harnfunktionsstörung, die nicht durch urologische Erkrankung erklärbar ist
- Früh Gangunsicherheit (kleinschrittiger Gang, magnetischer Gang, apraktischer, ataktischer oder parkinsonistischer Gang) oder nicht evozierte Stürze
- Persönlichkeits- oder /Stimmungsveränderungen (insbesondere Depression und Affektinkontinenz)
Bildgebung
Klare Zeichen einer zerebrovaskulären Erkrankung im CT oder MRI
- Solitäre oder multiple Infarkte
- Multiple lakunäre Infarkte
- Starke mikrovaskuläre Enzephalopathie
- Strategische Lokalisation von Hämorrhagien oder zwei oder mehrere intrazerebrale Hämorrhagien (an Amyloidangiopathie denken!)
Bei Patient*innen mit red flags soll eine eingehende anamnestische Abklärung erfolgen
- Mini-Mental-State-Test (MMST): Voraussetzung für Kostenerstattung von Antidementiva
- Uhrenzeichnen-Test (UZT): Erfasst visuell-konstruktive Defizite, die auf räumliche Orientierungsstörungen hinweisen
- IQCODE-Fragebogen: Screening-Fragebogen zur Fremdbeurteilung der kognitiven Leistungsfähigkeit
- MoCa-Test: Screening-Test zur Detektion einer kognitiven Beeinträchtigung bei älteren Menschen; sensitiver in der Aufdeckung einer MCI (mild cognitive impairment) als der MMST; Umrechnungstabelle MoCa-MMST.
Hinweis: Feststellung der Fahrtauglichkeit –> siehe mediX Factsheet Verkehrsmedizin
Labor
- Differential-Blutbild, Glukose, TSH, Kreatinin, Vitamin B12, Elektrolyte (Na, K, Ca), Folsäure, Leberwerte
- Weitere Laboruntersuchungen bei unklarer Situation oder entsprechendem klinischem Verdacht: Z. B. Lues-, HIV-Serologie
Bildgebung (MRI, cCT)
mediX empfiehlt eine Bildgebung unter folgenden Voraussetzungen
- Der Patient/die Patientin ist jünger als 65 Jahre
- Atypischer oder unklarer Verlauf
- Rasche Symptomentwicklung (innerhalb eines Jahres)
- Jüngst erlittene Kopfverletzung
- Ungeklärte neurologische Symptomatik (z. B. Krampfanfälle, Inkontinenz, Gangstörungen, Apathie etc.)
- Neu aufgetretene fokale Symptome (z. B. Babinski-Reflex, Hemiparese)
- Krebsleiden in der Anamnese und Wunsch des Patienten nach potentieller Behandlung einer Hirmetastase oder primärem Hirntumor
- Antikoagulantieneinnahme oder Blutgerinnungsstörung
- Ev. zum Ausschluss einer Nicht-Alzheimer-Demenz, sofern Therapie mit Antidementiva erwogen wird (bei vask. Demenz und FTD sind Antidementiva ohne Nutzennachweis!)
- Falls sich die Demenz nach Aspirin/OAK verschlechtert (Subduralhämatom nach Sturz, Blutung bei Amyloidangiopahie)
CT oder MRI?
- Insbesondere bei klinischem Verdacht auf entzündliche, tumoröse oder metabolische Erkrankungen sowie bei jüngeren Menschen ist das MRI erste Wahl
- Ein (natives) CT reicht aus für die Diagnose eines Hämatoms, etwa bei polymorbiden betagten Patient*innen zum Ausschluss einer Blutung
- Ist kein MRI verfügbar, sollte eine CT durchgeführt werden
Differentialdiagnosen/Potenziell reversible Demenzursachen
- Reversible Demenzursachen: Delir, Intoxikation, Nahrungs- und Flüssigkeitsdefizit, Schilddrüsenkrankheit, Vitamindefizit, Normaldruck-Hydrozephalus u. a.
- Differentialdiagnosen: Depression, Hirntumor u. a. (Umfassender Überblick über Erkrankungen, die das Bild einer Demenz hervorrufen können –> siehe Vollversion der Guideline)
Überweisung zum Spezialisten (z. B. Memory Clinic) in folgenden Fällen
- Patient*innen < 65 Jahre
- Atypische Symptomatik oder Verlauf (z. B. Verhaltensstörungen)
- Diskrepanz zwischen Angaben der Patient*innen oder der Angehörigen und den erhobenen Befunden
- Überforderungssituationen (Arzt, Angehörige, Patient*innen)
- Unsicherheit in der Diagnose
- Klärung der Ätiologie
Demenz oder Delir?
Demenz und Delir lassen sich zumeist aufgrund des zeitlichen Verlaufs und der Ausprägung der Bewusstseinstrübung unterscheiden
Beachte
- Demenzen sind allgemein der grösste Risikofaktor für die Entwicklung eines Delirs!
- Symptome des Delirs (Fluktuationen der Aufmerksamkeit, EPMS und optische Halluzinationen, vorübergehende Bewusstseinsverluste) kommen typischerweise auch bei Lewy-Body-Demenz vor
Therapie
Indikation
- Kein genereller Einsatz von Cholinesterasehemmern (ChE) bei Patient*innen ohne Verhaltensauffälligkeiten und langsamem Verlauf. Ein zeitlich limitierter Therapieversuch ist sinnvoll, sofern keine Kontraindikationen vorhanden sind (insbesondere kardiale KI bei ChE-Hemmern)
- Der Nutzen ist regelmässig alle 3–6 Monate zu überprüfen
- Kein genereller Einsatz von Memantin bei mittelschwerer oder schwerer Demenz bei Patienten ohne Verhaltensauffälligkeiten. Auf Wunsch des Patienten oder der Angehörigen kann die Therapie aber unter Einhaltung der Limitatio erfolgen
- Keine Kombinationsbehandlung
- Keine Antidementiva bei vaskulärer Demenz, frontotemporaler Demenz und Lewy-Body-Demenz
Vorgehen
- Bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz: Cholinesterasehemmer (Donepezil/Aricept®, Galantamin/Reminyl®, Rivastigmin/Exelon®)
- Donepezil: Anfangs 1 Tbl. Donepezil-HCl 5 mg/d abends, kurz vor dem Schlafengehen, nach mind. 4 Wochen Dosiserhöhung auf 1 Tbl. Donepezil 10 mg/d (Höchstdosis)
- Rivastigmin: Als Pflaster (bevorzugte Applikationsform) in Anfangs-Dosierung von 4,6 mg/24 h. Nach mindestens 4-wöchiger Behandlung Dosissteigerung auf die empfohlene Dosis von 9,5 mg/24 h
- Bei mittelschwerer bis schwerer Alzheimer-Demenz: Memantin (Axura®, Ebixa®) als Option
- Einschleichend dosieren! Tagesdosis: 1. Woche 5 mg/d, 2. Woche 10 mg/d, 3. Woche 15 mg/d, ab 4. Woche Erhaltungsdosis von 20 mg/d
- Absetzen bei fraglichem Effekt (fremdanamnestisch) oder progredienter Verschlechterung
Zwei Drittel der Patienten mit Demenzerkrankung leiden (vorübergehend) unter psychischen Begleitsymptomen (BPSD = Behavioural and Psychological Symptoms of Dementia)
Grundsätze der Therapie
- Ursache herausfinden und wenn möglich beseitigen (Medikamente, Schmerzen, Begleiterkrankungen wie HWI, veränderte Umgebung etc.)
- Symptomspezifische nicht-medikamentöse Therapien zuerst, z. B. bei
- Agitation: Aromatherapie, Snoezelen, kognitive Stimulation
- Psychotischen Symptomen: Reizabschirmung, milieutherapeutische Massnahmen, Behebung von Seh- und Hörstörungen
- Depression: Psychotherapie, Lichttherapie, pflegerische Interventionen
- Medikamente immer erst verabreichen, wenn andere Massnahmen erfolglos bleiben
- Die Evidenz für den Nutzen (atypischer) Neuroleptika ist schwach
- Neuroleptika erhöhen bei Demenzkranken das Mortalitätsrisiko, auch das Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse steigt
- Nebenwirkungen sind bei Demenzpatienten stärker ausgeprägt: Parkinsonismus, erhöhte Sturzneigung, übermässige Sedierung, Spätdyskinesien, Lagerungshypotension –> sorgfältige Nutzen-/Risikoabwägung!
- Antidementiva können auch bei Verhaltensauffälligkeiten eingesetzt werden!
Medikamente
Psychose, Agitiertheit, Aggression
- Neuroleptika
- Nur Risperidon (Risperdal®, Generika) ist für diese Indikation zugelassen
- Falls eine Behandlung mit Antipsychotika unumgänglich ist, wird eine Behandlung mit Risperidon 0,5–2 mg empfohlen
- Aripiprazol (Abilify®, Generika) wird aufgrund seiner Wirksamkeit gegen Agitation und Aggression als alternative Substanz (Off-label-Einsatz) empfohlen. Geringerer Einfluss auf QT-Zeit als Quetiapin
- Quietiapin (Seroquel®, Generika): Keine hinreichende Evidenz aus Studien, jedoch recht gute klinische Erfahrungen (ev. Off-label-Einsatz erwägen)
- Cholinesterashemmer
- Bei Apathie, Depression, Angespanntheit und Irritabilität bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz (Limitatio beachten)
- Bei LBD können ChE-Hemmer in manchen Fällen sehr effektiv bei Halluzinationen und Fluktuationen sein (Off-label)
- Memantin
- Ist bei Agitation, Aggression, Wahn und Halluzination bei mittelschwerer bis schwerer Alzheimer-Demenz wirksam (Limitatio beachten)
- Antikonvulsiva
- Ev. günstige Wirkung von Carbamazepin auf Agitation und Aggression
Depression
- Zunächst nicht medikamentös, nur in schweren Fällen SSRI, v. a. Citalopram (Cipramil® u. a.); Absetzversuch nach 6 Monaten; keine trizyklischen Antidepressiva!
Schlafstörungen
- Nicht-medikamentöse Massnahmen voll ausschöpfen, ev. Trazodon (Trittico® 50–150 mg/d), Mirtazapin (Remeron® 15 mg/d), Pipamperon (Dipiperon® 20–40 mg/d). Benzodiazepine allenfalls ausnahmsweise im Einzelfall – kurzzeitig und in geringer Dosierung! Melatonin ist bei Demenzkranken unwirksam
Schmerzen
- Schmerzen sollen gezielt behandelt werden unter Berücksichtigung der delirogenen Potenzials der Substanzen
- Morphiumderivate (z. B. Targin®) tief dosiert, bevorzugt peroral