Diagnostik
Tabelle 1: Einteilung von Rückenschmerzen
Grundlegendes
- Ziel ist das Erkennen von spezifischen und damit potentiell gefährlichen Ursachen
- Wichtig: Ohne Verdacht auf eine spezifische Ursache der Wirbelsäulenbeschwerden ist eine weiterführende (bildgebende) Diagnostik i. d. R. nicht erforderlich!
- Die wiederholte ungezielte Röntgen/MRI/CT-Diagnostik führt meist nicht zu einer spezifischen Diagnose und fördert eine iatrogene Fixierung
Anamnese
- Beginn der Schmerzen, tageszeitlicher Verlauf, Schmerzcharakteristika
- Am Morgen gut, im Verlauf des Tages unter Belastung/Arbeit schlechter –> eher degenerative Ursache
- Am Morgen schlecht und im Verlauf vom Tag besser –> eher entzündlicher Natur
- Nachtschmerz in Ruhe –> ist nie normal (danach muss man noch präziser nachfragen: Schmerzen beim Drehen im Bett oder auch wenn ganz in Ruhe liegend?
- Lokalisation und Ausstrahlung (Arm/Bein): Dermatom bezogen oder Dermatom übergreifend
- Auslösende, lindernde, verstärkende Faktoren (motorische Ausfälle oder Sensibilitätsstörungen)
- Frühere Episoden oder Vorerkrankungen (Neoplasie, Osteoporose)
- Anzeichen für spezifische, abklärungsbedürftige Ursachen (Red Flags)
- Psychosoziale Situation, Berufstätigkeit, sportliche Aktivität (Yellow Flags)
Inspektion und Funktionsprüfung
Tabelle 2: Inspektion und Funktionsprüfung bei Wirbelsäulenbeschwerden
⇒ Alarmzeichen für eine spezifische Ursache („Red Flags“)
Beachte: Entscheidend für das weitere Vorgehen ist immer das klinische Gesamtbild, nicht unbedingt ein einzelner Faktor!
⇒ Anzeichen für degenerative Wirbelsäulenerkrankungen
Tabelle 3: Kardinalsymptome verschiedener degenerativer Wirbelsäulenerkrankungen
⇒ Abklärungsempfehlungen bei Hinweis auf spezifische Ursache
Untersuchungen
Die Evaluation basiert im Wesentlichen auf bildgebenden Verfahren und ev. Laboruntersuchungen
- Basislabor: Hämatogramm, CRP, BSG, Alkalische Phosphatase (bei V. a. osteoplastische Metastasen)
- Spezielle Labordiagnostik: Je nach vermuteter Ursache
Dringlichkeit
Ergibt sich aus dem jeweiligen klinischen Bild
1. Notfallmässige Abklärung (MRI)
- Symptome eines Cauda equina-Syndroms
- Schwere neurologische Ausfälle (progrediente motorische Defizite)
- Verdacht auf Schub/Progression einer Multiplen Sklerose
- V. a. Infektiöse Genese (DD Spondylodiszitis), insbesondere bei St. n. Infiltrationen in der Vorgeschichte
2. Rasche Abklärung (Rx oder MRI/CT) bei
- Anhalt für Tumor/Metastasen: Tumoranamnese oder multiple Risikofaktoren für Tumor, stark verdächtige Klinik für ein Krebsleiden. Bei V. a. osteolytische Metastasen (z. B. Kolonkarzinom, Bronchialkarzinom!) –> CT, bei V. a. osteoplastische Metastasen (z. B. Prostatakarzinom) –> seitliche Röntgenaufnahme
- Anhalt für Fraktur: Vorangegangenes Trauma, Risikofaktoren Osteoporose und höheres Lebensalter
- Verdacht auf Plexusneuritis oder Infektion des Nervensystems (Herpes Zoster, Borreliose oder Tuberkulose) –> ev. Liquordiagnostik erwägen, da Serologien unter Umständen je nach zeitlichem Verlauf schwierig zu interpretieren sind
3. Nicht-dringliche Abklärung bei
Radikulopathie
Symptome
- Bei Patienten mit leichteren neurologischen Befunden (z. B. Diskushernie mit Ischialgie, leichter Fussheberschwäche, fehlenden tiefen Sehnenreflexen, Anheben des Beines nicht vollständig möglich) soll zunächst ein konservativer Therapieversuch erfolgen (Besserung auch ohne Intervention häufig)
- Bei ausbleibender Besserung ist eine Bildgebung angezeigt, insbesondere wenn Eingriffe (z. B. Infiltration) oder eine Operation geplant sind
Abklärung
- MRI
Verdacht auf Spinalkanalstenose
Symptome
- Ältere Patienten, Schmerzen und Schwäche in den Beinen (welche das Stehen und Gehen auf kurze Zeit beschränken, Erholung beim Vornüberbeugen (Velofahren) oder einige Minuten nach Entlastung; Lasègue-Zeichen meist negativ,Beweglichkeit altersentsprechend nicht eingeschränkt (Finger-Boden-Abstand)
Abklärung
- MRI
Verdacht auf entzündliche Gelenkerkrankung (Spondylarthritis, M. Bechterew)
Symptome
- Bei Patienten < 40 Jahre. Typische Symptome: Morgensteifigkeit (≥ 30 min), frühmorgendliches/nächtliches Erwachen wegen Kreuzschmerzen, alternierender Gesässschmerz, schleichender Beginn der Schmerzen. Schober-Test, laterale Flexion der LWS, Mennel-Test können pos. sein
Abklärung
- Röntgen der Iliosakralgelenke (z. B. Röntgen LWS und ISG), MRI (bei starkem klinischem Verdacht und unklaren Röntgenbildern), Basislabor: BSR, CRP, Blutbild, Kreatinin, Transaminasen, Harnsäure, TSH, Ferritin, CK. Speziallabor siehe GL Entzündlich-rheumatische Gelenkerkrankungen
Verdacht auf extravertebragene Ursache
Symptome
- Abdominelle und viszerale Prozesse, z. B. Cholezystitis, Pankreatitis
- Gefässveränderungen, z. B. Aortenaneurysma
- Engpasssyndrome, z. B. Thoracic-outlet-Syndrom
- Gynäkologische Ursachen, z. B. Endometriose
- Urologische Ursachen, z. B. Urolithiasis, Nierentumore, perinephritische Abszesse
- Neurologische Erkrankungen, z. B. Polyneuropathien
- Psychosomatische und psychiatrische Erkrankungen
Abklärung
Je nach Krankheitsverdacht weiterführende Untersuchungen und/oder Überweisung an Spezialisten
Risikofaktoren für einen chronifizierten Schmerzverlauf („Yellow Flags“) sind
Therapie bei unspezifischen Rückenschmerzen
Patientenberatung
- Information des Patienten über die gute Prognose auf Grund der hohen Selbstheilungschancen (Bewegung schadet nie!) –> mediX Gesundheitsdossier Rückenschmerzen
- Hinweise auf ergonomisches Verhalten, Automobilisationsübungen und Motivation zur Bewegung; keine Bettruhe, keine Ruhigstellung (Mobilisation nach Massgabe der Beschwerden)
- mediX Informationsblatt Automobilisationsübungen Wirbelsäule
- Frühzeitiges Ansprechen von Ängsten
- Back to normal (Alltagsaktivitäten, berufliche Tätigkeit etc.)
- Eigenverantwortung des Patienten ansprechen, da nur durch regelmässige körperliche Bewegung die Rückenschmerzen nachhaltig gebessert werden können
Prävention
- Haltungskorrektur, Rückenschule, Kräftigung und regelmässige Bewegung wirken einer Chronifizierung und Rezidiven entgegen. Insbesondere die Förderung von Beweglichkeit sowie Kräftigungsübungen haben Studien zu Folge eine nachgewiesene (wenn auch moderate) präventive Wirkung
- Massnahmen am Arbeitsplatz (ergonomische Gestaltung, Verhaltensprävention etc.)
- Akute unspezifische Rückenschmerzen müssen nicht zwingend rein medikamentös behandelt werden
- Chronische Rückenschmerzen sind eine multifaktoriell bedingte Erkrankung, die bei Abklärung, Beurteilung und Therapie einen mehrdimensionalen Zugang erfordert (multimodale Behandlungsprogramme). Häufigkeit und Verlauf vergangener Schmerzschübe und die Berücksichtigung psychosozialer Aspekte sind wichtig
Tabelle: Nicht-medikamentöse Therapie bei unspezifischen Rückenschmerzen – alphabetische Reihenfolge (auf Grundlage von systematischen Cochrane-Übersichtsarbeiten und Metaanalysen)
Tabelle: Medikamente zur Behandlung akuter und chronischer nicht spezifischer Rückenschmerzen
- OP-Indikation: Diskushernie mit radikulären Zeichen bei ausgeprägter oder progredienter Parese und nicht therapierbaren Schmerzen (ansonsten gilt es, bei Diskushernien mit radikulärer Symptomatik die Zeitspanne bis zur Spontanheilung mittels guter Analgesie zu überbrücken (z. B. mit epiduralen Infiltrationen)