Das BAG vernichtet fahrlässig 300'000 Impfdossiers
Publiziert am 8. Juni 2022 von Felix Huber
Aus rechtlichen Gründen könne das BAG die notwendige Million für die Datenrettung bei Meineimpfungen nicht aufbringen. Und nimmt damit mutwillig den Verlust von 300'000 Impfausweisen in Kauf. Die Folgekosten werden in die dutzenden von Millionen gehen, schreibt Dr. med. Felix Huber, Präsident der mediX-Ärztenetze in seiner Kolumne im online-Magazin medinside. Das ist fahrlässig und gefährlich.
Meineimpfungen geht in den Konkurs
Das elektronische Impfdossier Meineimpfungen steht vor dem Aus. Sämtliche 300'000 Datensätze werden auf Empfehlung des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragen gelöscht. Das BAG empfiehlt lapidar: «Setzen Sie sich mit Ihrem Arzt in Kontakt und definieren Sie mit ihm das weitere Vorgehen». Nur so einfach ist das eben nicht. Wir Hausärzte und Hausärztinnen machen täglich Impfberatungen und wissen, wie lückenhaft die meisten Vorinformationen der Patientinnen und Patienten sind. Viele haben kein Impfbüchlein mehr, viele haben in den letzten Jahren wiederholt die Praxis gewechselt, viele sind aus dem Ausland und haben gar keine Informationen über bereits durchgeführte Impfungen. Auch die FMH findet es skandalös, dass die Impfdaten von 300'000 Personen verloren sind. Sie will ein neues elektronisches Impfbüchlein – losgelöst vom Patientendossier.
Das BAG lehnt eine Rettung der Daten ab
300'000 Patienten und Patientinnen haben zusammen mit ihren Ärztinnen und Ärzten darauf vertraut, dass der digitale Impfausweis die verlässlichste Datengrundlage bietet. Es wäre mit einigem Aufwand möglich, diese Patienten zu kontaktieren und ihnen die Impfdaten zu übermitteln. Die Stiftung Meineimpfungen hat dafür beim BAG um Unterstützung im Umfang von 1 Million Franken gebeten. Das BAG hat diese Unterstützung abgelehnt und setzt damit 300'000 Menschen in der Schweiz der Gefahr von Impflücken und respektive unnötigen Impfwiederholungen aus. Der «Tages-Anzeiger» schätzt die Folgekosten auf 25 Millionen Franken. Die «Republik» schreibt: «Die Posse rund um Meineimpfungen.ch wirft ein sehr schlechtes Licht auf das digitale Gesundheitswesen der Schweiz. Man hatte ein Jahr Zeit, sich um die Datenrettung zu kümmern. Doch wenn der Staat nicht imstande ist, hier eine zufriedenstellende Lösung für die sichere Übermittlung und Rückgabe von Gesundheitsdaten zu finden, wie sollen denn Bürgerinnen Vertrauen in das ungeliebte elektronische Patientendossier aufbauen?»
Das Elektronische Patientendossier EPD bleibt ein potemkinsches Dorf
Das BAG hat Meineimpfungen jahrelang mit jährlich 950'000 Franken unterstützt und hatte mit zwei Stiftungsräten strategische Verantwortung. Einmal mehr stiehlt sich das BAG aus der Verantwortung.
Eine Nachfolgelösung soll nun über das EPD erfolgen. Glaubt jemand im Ernst, dass das BAG das schaffen wird? Das EPD soll ja auf wundersame Weise gerettet werden. Aber dafür braucht es neben zusätzlichen Finanzen in Millionenhöhe zuerst noch eine rechtliche Reform. Und dann müsste man sich mit allen Akteuren über den Mehrwert des EPD einig werden. Da wird über Jahre nichts geschehen. Alles längst bekannte leere Versprechungen, die nie umgesetzt werden können. Dass es dem BAG gelingen wird, ein digitales Impfdossier aufzubauen erscheint vor diesem Hintergrund kaum realistisch. Anstatt dass jemand endlich die Verantwortung für dieses Debakel übernimmt, wird einfach weitergemacht und alle nicht eingehaltenen Versprechen werden durch neue, noch schönere Versprechungen ersetzt. In dieser heillosen Überforderung des BAG sollte man keinen Tag länger auf eine funktionierende staatliche Informatiklösung warten.
Alternativen liegen vor
In der Zwischenzeit hat ein breites Konsortium eine Machbarkeitsstudie für einen neuen digitalen Impfausweis veröffentlicht. Im Konsortium vertreten sind die Berner Fachhochschule BFH, die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH, Pharmasuisse, HCI Solutions, Interpharma und die Genossenschaft Midata. Die Studie zeigt auf: Ein sicherer elektronischer Impfausweis ist möglich. Ein Impfdatenökosystem braucht finanzielle Mittel. Die Studie führt detailliert auf, welche Komponenten integriert, neu entwickelt, gewartet und betrieben werden müssten. Der nächste Schritt für die Umsetzung ist es, eine langfristige Finanzierung zu sichern. Danach kann das System gebaut und unterhalten werden. Hierzu braucht es private und öffentliche Investitionen, da der e-Impfausweis den Patientinnen und Patienten gratis zur Verfügung stehen soll.
Ob sich daraus ein tragbarer Businesscase entwickeln lässt, ist noch offen. Die Initiative und die Stossrichtung sind sehr interessant. Der Bund könnte sich an der Finanzierung dieser privaten Initiative beteiligen. Und das BAG könnte jetzt dafür sorgen, dass die bestehenden digitalen Impfdaten nicht vernichtet und den Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung gestellt werden.
Die vorhandenen strukturierten Daten nutzen
Wenn wir bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen wirklich weiterkommen wollen, müssen wir auf die bereits vorhandenen Daten zugreifen können. Der Weg zu nützlicher, strukturierter digitaler Patienteninformation wird auch in Zukunft nicht ohne den Datenexport aus den Informatiksystemen der Hausärzteschaft gehen, sowohl beim EPD wie auch beim digitalen Impfpass. Dazu sind neue private Allianzen und Plattformen notwendig, welche gefordert sind, die nötigen Schnittstellen zu schaffen und tragbare Geschäftsmodelle zu entwickeln. Mit Well, Compassana und weiteren entstehen diese bereits. Hoffen wir, dass sie schon bald mit nützlichen und versorgungsrelevanten Lösungen wie einem Impfdossier aufwarten.
Dr. med. Felix Huber, Präsident der mediX Ärztenetze