Pauschalen: gut gemeint, Ziel verfehlt

Publiziert am 11. August 2020 von Felix Huber

Kostendämpfung über einheitliche ambulante Pauschalen

Gastkommentar in der NZZ vom 6. August 2020
von Leander Muheim, Felix Huber und Anne Sybil Götschi

Der Nationalrat hat sich in der Sommersession mit grosser Mehrheit für die Einführung gesamtschweizerischer, einheitlicher, ambulanter Pauschalen im Gesundheitswesen ausgesprochen. Man erhofft sich damit Kosteneinsparungen bei gleicher Qualität für alle Patienten. Wir meinen, dass unter solchen einheitlichen Pauschalen, das bisher Erreichte nie denkbar gewesen wäre. Und dass nur zwischen den betroffenen Parteien direkt ausgehandelte Verträge Erfolg garantieren.

Bei allem Enthusiasmus für sinnvolle Kosteneinsparungen gilt es, diese Erwartungen in einen der medizinischen Realität angepassten Kontext zu setzen. Pauschale Abgeltungen sind vor allem bei häufig durchgeführten operativen Eingriffen möglich. Solche Pauschalen bestehen schon heute. Der Verband der operativ tätigen Ärzte FMCH hat erst kürzlich gemeinsam mit den Versicherungen der santésuisse ein Gesuch um Genehmigung von Pauschalvergütungen für weitere 67 Operationen beim Bundesrat eingereicht. Dafür brauchte es weder ein neues Gesetz, noch eine Pflicht oder eine nationale Organisation.

Branchenkenner schätzen, dass maximal 20% aller ambulanten Leistungen mit Pauschalen vergütet werden können. Darum haben sich auch in den OECD-Ländern ambulante Pauschalen als alleinige ambulante Vergütungsform nicht durchgesetzt. Jede klinisch tätige Fachperson weiss zudem um die menschliche Vielfalt medizinischer Probleme. Diese ist im Bereich der gesprächsorientierten Medizin natürlich besonders gross. Die Vorstellung, Patienten wären ohne Weiteres standardisierbar, sobald sie sich bestimmten Eingriffen unterziehen ist falsch. Die Behandlung einer Person kann je nach Begleiterkrankung und

«Verpflichtende gesamtschweizerische Pauschalen für ambulante Behandlungen braucht es nicht.»

sozialem Umfeld sehr aufwändig sein oder eben auch nicht. Mit einer Pauschale würde folgendes geschehen: Unkomplizierte Fälle würden übervergütet, während Ärzte mit kränkeren, sozial schwächeren Patienten oder allgemein komplexen Fällen es sich nicht mehr leisten könnten, diese adäquat zu versorgen. Es besteht eine grosse Gefahr, dass es zur Unterversorgung kommt. Vor allem ältere und psychisch beeinträchtige Menschen dürften zu den Verlierern gehören. Auch die effektiv realisierbaren Einsparungen dürften enttäuschend ausfallen. Behandlungspauschalen verhindern das Problem der Mengenausweitung nicht. Die im internationalen Vergleich hohen Zahlen an radiologischen Untersuchungen in der Schweiz werden nicht gesenkt, wenn diese pro Untersuchung pauschaliert statt im Einzelleistungstarif abgegolten werden.

Hausärztlich koordinierende Versorgungsmodelle (Managed Care) arbeiten mit grossem Erfolg seit mehr als 20 Jahren mit Kostenverantwortung für die gesamte ambulante und stationäre Behandlung, was einer Pauschale über die gesamte Behandlungskette entspricht – solche Pauschalen sind nicht zu vergleichen mit den aktuell diskutierten, ambulanten Behandlungspauschalen. Modelle mit Verantwortung über den gesamten Behandlungsprozess führen nachweislich zu Kosteneinsparungen bei sehr guter Qualität. Beiden Pauschalierungs-Modellen ist hingegen gemein, dass sie innovative, regionale Partner und partnerschaftliche Verträg e mit Versicherungen brauchen. Nur zwischen den betroffenen Parteien direkt ausgehandelte Verträge garantieren den Erfolg. Unter gesamtschweizerisch einheitlichen, ambulanten Pauschalen wäre das bisher Erreichte nie denkbar gewesen. Verpflichtende gesamtschweizerische ambulante Pauschalen braucht es nicht.

  • Dr. med. Leander Muheim, stellvertretender medizinischer Leiter von mediX zürich
  • Dr. med. Felix Huber, Mitgründer und Präsident von mediX schweiz
  • Dr. med. Anne Sybil Götschi, Verwaltungsratspräsidentin von MedSolution

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