Für ein gesundes Gesundheitswesen
Publiziert am 25. September 2021 von Werner Mäder
Leander Muheim, stellvertretender Präsident und Felix Huber, Präsident von mediX schweiz hatten in der NZZ Gelegenheit für einen sehr lesenswerten Gastkommentar. Sie fordern die seit Jahren fällige Ablösung eines Ärztetarifs, der massive Fehlanreize enthält und für eine rasche Genehmigung des von breiten Kreisen im Gesundheitswesen getragenen neuen Tardoc. Im Beitrag wehren sie sich gegen mehr staatlich aufgezwungene Richtlinien und vertreten die Meinung, dass es nicht eine für alle identische Gesundheitsversorgung braucht, um dem Primat der Solidarität treu zu bleiben.
Der Bundesrat hat im Juni die von den Kranken- und Unfallversicherern (Curafutura und MTK) sowie den Ärzten (FMH) ausgearbeitete Neuauflage des ambulanten Ärztetarifs nicht genehmigt und damit eine der dringendsten und wichtigsten Reformen im Gesundheitswesen erneut in die Verlängerung geschickt. Neben technischen Nachbesserungen wurde beim Tardoc – wie der neue Arzttarif heisst – insbesondere die mangelnde Unterstützung durch die Spitäler und weitere Krankenversicherer bemängelt.
Jahr für Jahr werden unter dem fast zwanzig Jahre alten Tarif Tarmed Milliarden für überteuerte und teilweise unnötige Leistungen verschleudert, während wertvolle, aber unterbezahlte Leistungen darben. Diese anhaltende Fehlabrechnung öffnet denjenigen Akteuren Tür und Tor, die infolge des Kostenwachstums tatsächlich drastische Reformen vorbereiten: Kostendächer und Globalbudgets, obligatorische Erstanlaufstellen und Behandlungspauschalen für die Hälfte aller ambulanten ärztlichen Leistungen. Über staatlich aufgezwungene Richtlinien soll die Medizin in unserem Land in lebensfremde Schranken gewiesen werden. Damit wird kein einziges Problem gelöst.
Der traditionelle Schweizer Weg einer individuellen und vielfältigen Medizin würde damit untergraben. Patienten und Ärzte wären die primären Leidtragenden, wenn die Sprechstundenzeit auf ein Minimum herabgesetzt würde und das Interesse an den effektiven medizinischen Problemen abhanden käme. Die gegenwärtige Diskussion läuft Gefahr, ohne Not bestehende Qualität zu zerstören. Die Ausweitung von ambulanten Spitalleistungen, welche beträchtliche Extrakosten gegenüber der spitalexternen Versorgung durch Hausärzte und andere Spezialisten verursachen, ist besorgniserregend. Gerade deswegen sollten die einseitigen kantonalen Subventionen durch eine einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen ersetzt werden.
Mit den alternativen Versicherungsmodellen haben wir ein Instrument, welches eine Kostendifferenzierung auf Basis von Verhaltenspräferenzen und Bedürf-nissen zulässt – ohne die Solidarität für medizinische Risiken zu gefährden. Leider nutzen wir dieses Instrument noch viel zu wenig effektiv. Allen voran wir Hausärzte müssen unsere Leistungen in Zukunft viel stärker über Versicherungs-modelle definieren und unseren Vertragspatienten exklusiveren Praxiszugang gewähren.
Aber auch an die Versicherer geht der Appell von uns Ärzten, reinen Wein einzuschenken und klarzustellen, mit welchen Ärzten sie präferenziell zusammenarbeiten wollen und für welche Medizin ihre Produkte stehen. Und zuletzt wird es auch eine Liberalisierung der Prämienberechnung brauchen.
Viele Politiker und Ärzte erliegen einem Trugschluss: Es braucht nicht eine für alle identische Gesundheitsversorgung, um dem Primat der Solidarität treu zu bleiben. Denn gerade durch die Verhinderung einer sich über den Markt differen-zierenden Leistungserbringung würde über die interventionistisch geplante Begrenzung letztlich der Weg in die Zweiklassenmedizin vorbereitet.
Tardoc steht bereit und sollte vom Bundesrat so schnell wie möglich genehmigt werden. Die Hausarztmedizin wird darin ihren Platz finden: Ohne genügend talentierten Nachwuchs in dieser Disziplin, welche den Menschen als Ganzes im Auge behält, wird es nicht gelingen, dem kommerziellen Druck in der Medizin standzuhalten und die Patienten über Sinn und Unsinn der Angebote aus dem Hochpreissektor aufzuklären.