Freie Wahl den Versicherten - Gatekeeping ist im Schweizer Gesundheitswesen unnötig

Publiziert am 26. Januar 2023 von Werner Mäder

Geht es um die Arztwahl, haben Patientinnen und Patienten das Sagen. Das möchte die Branchenorganisation santésuisse ändern und ein «Gatekeeping» einführen. Damit will sie alle Versicherten gesetzlich dazu verpflichten, sich als erstes an eine hausärztliche Fachperson, ein Ärztenetzwerk oder ein telemedizinisches Angebot zu wenden.

In Ihrem gemeinsam verfassten Artikel in der Schweizerischen Ärztezeitung schreiben Dr. med. Felix Huber, Präsident mediX schweiz, Dr. med. Leander Muheim, Vizepärsident mediX schweiz und Robin Schnmidt, Leiter Unternehmensentwicklung mediX zürich, der Vorschlag klinge zwar gut, tauge aber weder für eine nachhaltige Kostenkontrolle noch für eine Verbesserung der Behandlungsqualität. Die Versicherungen sollten besser ihre Gatekeepermodelle ausmisten.

Im folgenden publizieren wir den ganzen Artikel im Wortlaut.

Heterogene Versicherungslandschaft

Nimmt man alle Modelle des Gatekeepings oder der alternativen Versicherungsmodelle (AVM) zusammen, so findet man eine grosse Heterogenität. Darunter fallen nebst dem Hausarztmodell auch telemedizinische Modelle, die über ein Callcenter die Behandlung zu steuern versuchen oder Listenmodelle, bei denen Krankenversicherungen ohne Einverständnis die Ärztin oder den Arzt zum Gatekeeper und Koordinator ernennen oder eine x-beliebige Stelle zum Koordinator ernennen.

Die letzten beiden Modellgruppen verhindern vielleicht manchmal, dass ein Patient oder eine Patientin mit einer Bagatelle auf dem Notfall landet, sie eignen sich aber nicht, um multimorbide chronisch kranke Personen zu betreuen. Sie übertragen niemandem eine eindeutige Verantwortung und schaffen keine Anreize für Prävention oder eine dauerhafte therapeutische Beziehung. Gerade bei den Hochkostenfällen kann nur eine hausärztlich koordinierende Medizin auf Basis eines mit den Leistungserbringern abgeschlossenen Vertrags und einer sorgfältigen und kontinuierlichen Betreuung der Patientinnen und Patienten eine bessere Qualität und gleichzeitig Kosteneinsparungen erreichen.

Scheinmodelle verhindern

Es macht keinen Sinn, diese sehr unterschiedlichen Ansätze der medizinischen Behandlung zum Standardmodell zu erklären. Eine solche Regelung würde nur die Entstehung weiterer Scheinmodelle fördern, möglicherweise wenig differenzierten Netzstrukturen Tür und Tor öffnen, indem diese die unzähligen Leistungserbringer absorbieren würden, die aus der freien Arztwahl verdrängt würden. Wir sollten nicht vergessen, dass sich die hausärztlich koordinierten Modelle nur so stark entwickeln konnten, weil es keine Vorschriften gab.

Wenn heute 75% der Bevölkerung ein Modell mit eingeschränkter Wahl des Zugangs zur medizinischen Versorgung gewählt haben, dann hat dies in erster Linie mit den tieferen Prämien in diesen Modellen zu tun. Die Steuerung über den Prämienrabatt funktioniert also bestens und braucht keine Systemumstellung mit neuen Vorschriften und Verordnungen. Ein AVM-Obligatorium würde vom heutigen Bundesamt für Gesundheit (BAG) mit Sicherheit mit dem bekannten, praxisfernen Kontrollzwang durchreguliert werden und die weitere Entwicklung dieser Modelle abwürgen.

Zwei kleine Änderungen reichen

Wirkliche Kosteneinsparungen und Verbesserungen der medizinischen Behandlungsqualität brauchen schon etwas mehr als einen bunten Haufen von zufällig agierenden Instanzen, die irgendwie die Etiketten der verschiedenen Modelle neu mischen und sich davon eine gewisse Optimierung der Behandlungspfade erhoffen.

Es braucht dazu klare Zuständigkeiten und vertragliche Vereinbarungen zwischen Leistungserbringern und Versicherern. Es braucht die kontinuierliche Betreuung und sorgfältige Dossierführung durch die Hausärztin oder den Hausarzt und veritable Anreize, um eine therapeutische Beziehung zu fördern. Ein bloss zufälliges Gatekeeping von Fall zu Fall reicht da bei weitem nicht. Das zeigen alle Studien zur Kosteneinsparung und zur Behandlungsqualität.

Lassen wir doch weiterhin die Patientinnen und Patienten entscheiden, welches Modell sie wählen möchten. Wenn wir Prämien wollen, welche vernünftiges Verhalten belohnen, braucht es keine Systemumstellung, sondern nur einzelne minimalinvasive Eingriffe.

Seriös arbeitende Hausärztinnen und Hausärzte in vertraglichen Netzwerken wollen nicht auf billigen Listen, die sich dem Patienten, der Patientin gegenüber irreführenderweise als Hausarztmodell ausgeben, angepriesen werden. Sie sollen sich von den Listenmodellen streichen lassen können.

Das BAG soll mit der Prämienkontrolle bei den AVM aufhören. Versicherungen sollen ihre Prämien frei festlegen können. Dazu braucht es lediglich diese zwei kleinen Änderungen im Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) und in der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV). Aber auch ohne Korrektur dieser beiden Systemfehler wird es in Zukunft eine Steuerung in sinnvolle Modelle geben. Denn bei den guten Hausärztinnen und Hausärzten wird es nur noch Platz für Personen mit dem richtigen Versicherungsprodukt geben.

Echte Hausarztmodelle bevorzugen

Schon heute sind praktisch alle Hausarztpraxen überfüllt und können keine neuen Patientinnen und Patienten mehr annehmen. In den echten, vertraglichen Hausarztmodellen, welche den persönlichen Arztzugang sichern, wird die kostbare Aufgabe der hochqualifizierten und anspruchsvollen Betreuung von chronisch kranken Menschen aber auch weiterhin bei neuen Patientinnen und Patienten gewährleistet sein. Dadurch, dass chronisch kranke Personen vermehrt das echte Hausarztmodell wählen werden und die Hausärztinnen und Hausärzte ihre Kapazitäten zunehmend an diese echten Hausarztmodelle koppeln müssen, wird sich vieles erübrigen und die koordinierte Versorgung wird einen Schub erfahren.

Unnötigen Aktivismus vermeiden

Verfallen wir also keinem neuen Aktivismus. Es braucht keine neuen Vorschriften und keinen Systemwechsel. Das lenkt nur von den eigentlichen Hausaufgaben ab. Führen wir jetzt endlich die einheitliche Finanzierung (EFAS) und den TARDOC ein und hören sofort auf, die Zulassung von Hausärztinnen und Hausärzten zu beschränken. Wenn die Versicherungen etwas tun wollen, um die Gesundheitsversorgung voranzubringen, sollen sie sich auf sinnvolle Modelle fokussieren und sich von Prämiensparmodellen verabschieden, welche die koordinierende Versorgung beanspruchen aber nicht mitfinanzieren. Die Versicherungen haben es bereits in der Hand, sinnvolle Modelle zu gestalten und viele machen dies auch erfolgreich.

Ein Systemwechsel ist nicht angezeigt

Mit ihrem Vorschlag will santésuisse den Kontrahierungszwang abschaffen und löst damit eine Lawine von unklaren Verfahrensfragen aus, die zu jahrelangen Rechtsstreitereien führen wird. Das sture Verhalten von santésuisse bei der neuen Abgeltung der nichtärztlichen Psychotherapie lässt grüssen. Wir haben in der hausärztlich koordinierten Versorgung mit Vertrag den Kontrahierungszwang längst abgeschafft. Aber in diesen Modellen entscheiden die Ärztenetze und nicht die Versicherer, wer unter Vertrag genommen wird.

Wir brauchen also keinen Systemwechsel. Und wir brauchen auch keine staatliche Regelung der koordinierten Versorgung, wie sie im Massnahmenpaket 2 auf groteske Weise vorgeschlagen wird. Das Eidgenössische Departement des Innern respektive das BAG soll das Massnahmenpaket 2 einfach versenken. Auch viele runde Tische machen die Vorlage nicht besser und sind reine Zeitverschwendung. Die Kooperation mit weiteren Akteuren im Gesundheitswesen kann in der hausärztlich koordinierten Versorgung vertraglich geregelt werden. Dazu braucht es keine neuen Gesetze und Vorschriften.