Die koordinierte Versorgung braucht Freiheit statt Zwang - Positionspapier von mediX zur Gesundheitspolitik 2024

Publiziert am 23. März 2024 von Felix Huber

Die medizinische Grundversorgung ist als Fundament für eine bedarfsgerechte Betreuung der Schweizer Bevölkerung wissenschaftlich wie politisch anerkannt1,2. Auch die grosse Mehrheit der Menschen in unserem Land wünscht sich die kontinuierliche Betreuung durch einen Hausarzt3. Die in Netzwerken organisierte, hausärztlich-koordinierte Versorgung ist ein Schweizer Erfolgsmodell, welches auf diesem Fundament aufbaut. Sie steht heute in Form des Hausarztmodells allen offen. Sie fördert die Interprofessionalität und verbessert die Koordination insbesondere von chronisch kranken Patient*innen4. Sie führt nachweislich zu besserer Behandlungsqualität und 15-20% tieferen Kosten5. Anstatt dieses bestehende Erfolgsmodell zu reglementieren und schlimmstenfalls ganz zu ersticken – wie es das Massnahmenpaket 2 (MP2) des Bundesrates vorschlägt – sollte man sich fragen: Was kann man tun, um sein Potential auszuschöpfen und seine Reichweite zu vergrössern?

Bereits jetzt sind rund ein Drittel aller Patient*innen einem vertraglichen Hausarzt- oder HMO-Modell mit umfassender Qualitätsarbeit und Anreizsystemen beigetreten und es werden immer mehr: Sie sichern sich damit die koordinierte Versorgung und fördern diese gleichzeitig. Es genügt, wenn alle Akteure weitere Massnahmen ergreifen, die zur Fortsetzung dieser Entwicklung beitragen. Und es ist verfehlt hier von Modellen mit Gatekeeping zu sprechen. Die hausärztlich-koordinierte Versorgung ist nicht nur die Tür: Sie ist der Korridor und der Behandlungspfad6,7.

Dazu braucht es im Krankenversicherungsgesetz (KVG) keine neuen Netzwerke zur koordinierten Versorgung (MP2 Art. 37a) und insbesondere keinen neuen Leistungserbringer (MP2 Art. 35): Koordinierte Versorgung ist weder eine «Struktur» noch eine «Einrichtung» oder ein «Versorgungsangebot». Die ausführenden Leistungserbringer sind bereits hier und werden auch in Zukunft fast dieselben sein. Gelungene koordinierte Versorgung ist ein «Prozess» und setzt voraus, dass alle Beteiligten motiviert sind, an diesem Prozess teilzunehmen.

Mit administrativer Zwängerei über die Art der koordinierten Versorgung und einer gemeinsamen Abrechnungsnummer, wird man nichts erreichen können: Der Erfolg der Hausarztmodelle basiert auf der dreifachen Freiwilligkeit für Patient*innen, Ärzt*innen und Versicherungen. Eine Ausrichtung der koordinierten Versorgung an wählbaren Versorgungsmodellen ist deshalb eine unverzichtbare Grundvoraussetzung.

Wie die Politik die koordinierte Versorgung stärken kann

  • Wir brauchen dringend die Einführung des TARDOC und von EFAS. Im TARDOC wird die Grundversorgung gestärkt und damit die Attraktivität der Hausarztmedizin gesteigert. EFAS ermöglicht es, in den Hausarztmodellen bis zu zusätzlich 6 Prozentpunkte Prämienrabatt zu geben. Dies, weil es dank der besseren koordinierten ambulanten Betreuung zu weniger Hospitalisationen kommt, was dank EFAS direkt den Prämienzahlern zu Gute kommt.
  • Wir brauchen eine Prämienliberalisierung wie sie in der vom Nationalrat angenommenen Motion vorgeschlagen wurde: Motion 23.3502: Stärkung der koordinierten Versorgung durch Kostenwahrheit der Versicherungsmodelle im KVG.
  • In den Hausarztmodellen braucht es die Möglichkeit zur Bereitstellung individueller Informationen zur Verhütung von Krankheiten wie im MP2 in Art. 56 und Art. 84 KVG vom Nationalrat vorgesehen. Auch die Leistungserbringer müssen diese Daten nutzen dürfen – nur so können wir unsere Hausarztmodell-Versicherten über präventive Massnahmen informieren und zu Vorsorgeuntersuchungen einladen.

Für die mediX Ärztenetze

Felix Huber und Leander Muheim

Das Positionspapier können Sie hier als PDF herunterladen.

1 Van Weel C, Kidd MR. Why strengthening primary health care is essential to achieving universal health coverage. Can Med Assoc J. 2018;190(15):E463-E466. doi:10.1503/cmaj.170784

2 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft: Art. 117a Medizinische Grundversorgung. Published online May 18, 2014.

3 Cornel Kaufmann, Zora Föhn, Andreas Balthasar. Zukünftige Ambulante Grundversorgung: Einstellungen Und Präferenzen Der Bevölkerung.; 2021. https://www.obsan.admin.ch/de/publikationen/2021-zukuenftige-ambulante-grundversorgung-einstellungen-und-praeferenzen-der

4 Carola A. Huber. Effects of Integrated Care on Disease-Related Hospitalisation and Healthcare Costs in Patients with Diabetes, Cardiovascular Diseases and Respiratory Illnesses: A Propensity-Matched Cohort Study in Switzerland. Int J Integr Care. 2016;16(1). doi:10.5334/ijic.2455

5 Managed Care Swiss Made. Vol Band 135, Kap. 2.7 (Die Wirtschaftlichkeit ist ausgewiesen, Beck/Kauer). Schweizerische Gesellschaft für Gesundheitspolitik (SGGP); 2019.

6 Sandvik H, Hetlevik Ø, Blinkenberg J, Hunskaar S. Continuity in general practice as predictor of mortality, acute hospitalisation, and use of out-of-hours care: a registry- based observational study in Norway. Br J Gen Pract. 2022;72(715):e84-e90. doi:10.3399/BJGP.2021.0340

7 Lapointe-Shaw L, Salahub C, Austin PC, et al. Virtual Visits With Own Family Physician vs Outside Family Physician and Emergency Department Use. JAMA Netw Open
2023;6(12):e2349452. doi:10.1001/jamanetworkopen.2023.49452